10. Oktober 2003

Imperium Verschwörung

 

Nach Ende des Kalten Kriegs hatte man gehofft, den Begriff „Weltherrschaft“ endgültig in den Kosmos der Superhelden-Comics und Action-Filme verbannen zu können. Wie der renommierte italienische Journalist Giulietto Chiesa in seinem neuesten Buch behauptet, war solches Denken aber nicht nur heilloser Leichtgläubigkeit geschuldet, sondern bewusst gesteuerter Manipulation aufgesessen. Zur Klärung der wahren Hintergründe des 11. Septembers und des Kriegs gegen den Terror tritt der Publizist daher unerschrocken an und kommt zu teils aufschlussreichen Ergebnissen in leider Haar sträubendem Gewand.

 

Dass es bei der aktuellen Durchsetzung einer neuen Weltordnung statt um Sicherheit und Demokratisierung um Macht und Profit geht, ist keine sehr originelle Idee. Auch die These, dass es sich bei den militärischen Aktionen der Vereinigten Staaten um Defensivreaktionen eines geschwächten Imperiums handelt, teilt er mit angesehenen Theoretikern.

 

Zufolge des Historikers Emmanuel Todd etwa demonstriert Amerika militärische Omnipotenz, um über seine eigene ökonomische Schwäche hinwegzutäuschen. Und der Politikberater Joseph S. Nye spricht bezogen auf die militärischen Schläge gegen Afghanistan und Irak von Panikreaktionen einer überlebten Organisationsform, die den Anschluss an moderne transnationale Beziehungen verpasst habe.

 

Doch es besteht ein Unterschied, psychologische oder systemische Erklärungen für die politischen Handlungen zu liefern oder hinter den Vorgängen den perfide durchdachten Plan einer bestimmten Gruppierung auszumachen. Genau das legt Chiesa in seinen Ausführungen jedoch nahe. Er behauptet zwar nicht explizit, dass die Zerstörung des World Trade Center auf das Konto der amerikanischen Regierung oder Geheimdienste geht. Gelegen kam der Terror seiner Meinung nach aber allemal. Denn die Ereignisse dienten der Verschleierung der wahren ökonomischen Lage der Vereinigten Staaten.

 

„Die Rezession der amerikanischen Wirtschaft wurde offiziell erst Mitte November 2001 zugegeben, es erwies sich aber, dass sie seit April zu erkennen gewesen war.“ Wer da Informationen zurückgehalten hat, um Panikreaktionen in der Bevölkerung zu verhindern oder vor dem 11. September noch rasch „eine Reihe defensiver Operationen“ and der Börse auszuführen, verrät Chiesa uns zwar nicht. Seine Spekulation geht allerdings in Richtung „Globale Supergesellschaft“. Ein Begriff, den er von Alesander Zinowiew übernimmt. „Es ist die Elite des jeweiligen Landes. Zum heutigen Zeitpunkt etwa 80 bis 100 Millionen Personen, Familien eingeschlossen.“ Da stutzt der Leser ob einer solchen Masse konspirativer Weltbeherrscher. Spätestens hier bricht die Logik der Argumentation dann auch in sich zusammen. Chiesa kann sich nicht entscheiden zwischen Verschwörungstheorie und Kapitalismuskritik. Einerseits spricht er von einer ominösen „Kuppel“, bestehend aus Spitzenvertretern von Geheimdiensten verschiedener Länder, die weltweit die Fäden in Händen halten, dann wieder von struktureller Ausbeutung, die im Schafspelz von Liberalismus und Freihandelspolitik den Reichen ihren Warenumsatz und ihre Absatzchancen überall auf der Welt und mit allen Mitteln sichern.

 

So richtig es ist, dass der Krieg gegen den Terror zur Bewahrung der bestehenden Machtverhältnisse ausgenutzt wird und der Terrorismus für Amerika „nicht so sehr ein Problem ist, das gelöst sein will, als vielmehr eine Kategorie der Wirklichkeitsinterpretation, die dazu dient, eine Überwachungsgesellschaft zu installieren.“ Ursache und Wirkung sollte man doch auseinander halten. Und falls Chiesas Vermutung der vollkommenen Geschlossenheit des Verschwörungssystems tatsächlich der Wahrheit entspricht, ließe sich dagegen sowieso nichts ausrichten.

 

Umso erstaunlicher, woher Chiesa dann doch noch Hoffnung bezieht. Wie im Untertitel angekündigt, spricht er Europa eine entscheidende Rolle im Kampf um die Weltherrschaft zu. Denn dass ohne europäische Intervention Amerikas „Superkrieg“ nicht aufhören wird, bevor sein Machtmonopol für immer gesichert ist, insbesondere auch gegen die zukünftige Weltmacht China, davon ist Chiesa fest überzeugt. „Europa verfügt nicht nur über die wirtschaftlichen, ökonomischen und Bevölkerungsressourcen, sondern auch über die geistigen und moralischen Kräfte, um die Globalisierung des Denkens, die Verschleierung der Wirklichkeit durch die Medien aufzubrechen und die Balance der Mächte zu gewährleisten.“ Das klingt, mit Verlaub, vielleicht nicht nach Action, nach naivem Superhelden-Happy-End aber allemal.

 

Gustav Mechlenburg

 

Giulietto Chiesa: Das Zeitalter des Imperiums. Europas Rolle

im Kampf um die Weltherrschaft. Aus dem Italienischen übersetzt von Bettina Müller-Renzoni. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2003, 230 Seiten, 15,90 €