13. Oktober 2003

Das Grauen vor Augen

 

Zu Tom Coraghessan Boyles Short-Story-Sammlung "Schluss mit Cool"

 

Von Gustav Mechlenburg

 

"After the Plague" heißt der Originaltitel der neuen Short-Story-Sammlung des Vielschreibers T. C. Boyle. Der deutsche Titel "Schluss mit Cool" ist besser gewählt: Nur die letzte der 16 Kurzgeschichten spielt nach der Apokalypse, alle anderen haben das Grauen noch vor sich. Die Akteure stehen am Abgrund, den Absturz vor Augen. Ob es tatsächlich zum Äußersten kommt, bleibt meist der Fantasie des Lesers überlassen. Mit coolem Gehabe ist hier wirklich schnell Schluss, und das ist gut so.

 

Boyle wollte einen neuen Effekt erzielen, "aus der Angst heraus, mich zu wiederholen". Das merkt man den Erzählungen an und akzeptiert es doch zugleich. Irgendwann schluckt man den schrillen Ton und die grellen Bilder, mit denen Boyle seine Geschichten ausstaffiert, weil es darum eigentlich auch gar nicht geht. Ob der Held letztlich zur Pistole greift wie in "Schluss mit Cool" oder zu einem Buch wie in "Abwärts", ist für die Handlung zwar entscheidend, nicht aber für die innere Struktur, die in den Köpfen der Figuren zum Vorschein kommt. Das unvermeidliche Fiasko braut sich aus lauter banalen Alltagssituationen zusammen. Wie in einem Testlabor erfährt man beim Lesen, wie viel Stress ein Mensch vertragen kann, bis dieser umschlägt in Verzweiflung, Wut und Gewalt.

 

Interessanterweise funktioniert die psychologische Innenschau trotz der abschreckenden Kauzigkeit der skizzierten Figuren. Hier wird uns keine Person so wirklich vertraut. Zu seltsam und eigen denkt und handelt beispielsweise Baldassare in "Die unterirdischen Gärten", ein sizilianischer Einwanderer, der ein gigantisches Höhlensystem mit bloßer Hand erschafft, seine Angehimmelte jedoch von dessen Wohnattraktivität nicht überzeugen kann. Oder Hart Simpson in "Peep Hall", ein penibel auf seine Privatsphäre achtender Mann, der schließlich vor laufenden Webcams eben diese verliert.

 

So richtig Spaß mag bei der Lektüre nicht aufkommen - zu düster und ernst ist der Ton. Da amüsiert auch die durchgängige Übertreibung nicht. Ironie lässt sich an einigen Stellen noch ausmachen, aber es hätte des beißenden Spotts bedurft, um bei diesen Geschichten wirklich eine befreiende Wirkung zu erlangen. Wieder einmal tritt Boyle als der kritische Weltverzweifler auf, der gesellschaftlichen Verfall und extreme Entwicklungen bis in die Tiefenstrukturen seiner Figuren hinein analysiert. Bei so viel Durchblick ist es angenehm, dass es in dem Band auch an einer Selbstkarrikatur Boyles nicht mangelt ("Achates McNeil"), in der er als selbstgefälliger Schriftsteller gar keine gute Figur abgibt.

 

T. C. Boyle: Schluss mit cool. Stories.

Übersetzt aus dem Amerikanischen von Werner Richter.

Carl Hanser Verlag, München 2002.

388 Seiten, 19,90 EUR.

ISBN 3446201262