5. März 2006

Unentschieden

 

This is the end of the world as we know it – am Abend des 11. Septembers 2001 treffen sich Jakob und Isabelle auf einer Party. Wie sich später herausstellt, nicht ganz zufällig, Jakob hat schließlich zehn Jahre lang auf sie gewartet. Die erste Begegnung fand in Freiburg statt, ein Waldspaziergang und eine gemeinsame Nacht, mehr nicht, aber für Jakob genug, um zu wissen, dass er auf Isabelle warten wird. Doch trotz der dramatischen Ereignisse am Tage ihrer Wiederbegegnung – zusätzlich schicksalshaft gewürzt durch die Tatsache, dass Jakob am Tag zuvor noch geschäftlich in den Twin Towers in New York zu tun hatte – bleibt das weitere Leben der beiden seltsam belanglos. Er wollte immer nur sie, sie dagegen scheint ihn nur zu nehmen, weil er grad da ist. Sie heiraten, kaufen eine Wohnung in Berlin, er arbeitet in einer Anwaltskanzlei, sie in einem Grafikbüro, alles ist nett, vielleicht ein bisschen zu nett, aber wen kümmert das schon.

 

Dann bekommt Jakob das Angebot, nach London zu gehen, anstelle eines Kollegen, der im World Trade Center umgekommen ist. Schicksal, vielleicht. Die beiden ziehen um, Isabelle arbeitet in London von zu Hause aus und erkundet ansonsten die Stadt. Jakob hat viel zu tun, jede Menge Anträge auf Rückübertragung von Besitztümern in der ehemaligen DDR sind zu bearbeiten. Eigentlich läuft alles prima, doch plötzlich zeigen sich Risse in ihrer heilen Welt. Jakob ist zunehmend von seinem Chef fasziniert, er hofft auf dessen Aufmerksamkeit, ohne sich den Grund erklären zu können. Gleichzeitig lernt Isabelle den Dealer Jim kennen, der in ihrer Straße wohnt. Um ihn dreht sich der zweite Handlungsstrang des Romans, im dritten geht es um das vernachlässigte Nachbarskind Sara und um ihren Bruder Dave, der sie vor den Eltern beschützen will und gleichzeitig versucht, von zu Hause wegzukommen. Am liebsten mit Jims Hilfe, den er bewundert. Doch Jim liegt nichts an ihm, eigentlich liegt ihm auch nichts an Isabelle, er ist auf der Suche nach seiner verschwundenen Freundin Mae, die er verprügelt und mit einem Messer angegriffen hat, trotzdem träumt er von einem beschaulichen Leben auf dem Land mit ihr.

 

Die Gleichgültigkeit der Erwachsenen, gepaart mit sexueller Anziehungskraft und Gewalt, macht die eigentliche Tragik dieses Romans aus. Sara wird mehr aus Zufall zum Opfer, ohne verstehen zu können, was mit ihr passiert. Katharina Hacker beschreibt eine Welt, die erschreckt, vielleicht weil es eigentlich gar nichts Erschreckendes gibt. Dinge passieren, ohne dass ihnen Einhalt geboten wird. Im Prinzip könnten Jakob und Isabelle glücklich sein, doch man traut es ihnen nicht zu. Sie bleiben vage, am Rande verharrend, ohne Mitgefühl. Besonders Isabelle lässt sich kaum greifen, doch vermutlich ist es gerade das Schemenhafte an ihr, das anderen die Möglichkeit bietet, sie als Projektionsfläche für ihre Wünsche zu benutzen, schließlich wartet nicht nur Jakob ganze zehn Jahre auf ein Wiedersehen, auch Isabelles Kollege Andras in Berlin braucht Jahre, um das Warten auf ein gemeinsames Glück aufzugeben. Am Ende bleibt alles offen, und die Gefahr, dass alles so weitergeht wie bisher, ist groß. Schließlich müsste man sonst Entscheidungen treffen.

 

Katrin Zabel

 

Katharina Hacker: Die Habenichtse, 309 Seiten, Suhrkamp Verlag 2006

 

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