22. Februar 2006

Altersbedingte Generalbedrängnis

 

Im Zuge des Mauerfalls, der Öffnung Europas Richtung Osten, geraten manche, vorher abgeschottete Informationen ungehindert in den Westen. Der Kunsthandel zwischen München und Leipzig, der zu DDR-Zeiten gegen harte Devisen umständlich über die Mauer abgewickelt wurde, ließ im Osten neben mitgebrachten Jeanshosen schließlich auch uneheliche Kinder zurück, die sich nun frei bewegen.

 

Thomas Palzer, Fernseh- und Hörfunkautor und diesjähriger Tukan-Preisträger, lässt in seinem Roman „Ruin“ zwei unterschiedliche Menschen aufeinander treffen, die mehr miteinander zu tun haben, als sie zunächst annehmen. Ein Filmhändler, dem noch nicht so recht klar ist, dass er wohl mitten in einer Krise aus beruflicher Frustration und altersbedingter Generalbedrängnis steckt, und eine junge Polin, die einen Mann von einem Foto sucht, von dem sie meint, es sei ihr Vater. Dora hat einen Krimi aus dem Polnischen ins Deutsche übersetzt, bietet diesen in München einem Verlag an und richtet während ihres Aufenthalts in der Bayrischen Hauptstadt im Seelenhaushalt des Filmhändlers Viggen beträchtlichen Schaden an. Trotz der Kürze seines Romans versteht es Palzer, beide Protagonisten mit glaubhafter Gefühlsintensität zu beschreiben.

 

„Ruin“ zielt ständig auf einen Kulminationspunkt. Ein Gegenstand wird kurz, aber total und ohne weiteren Kommentar gezeigt, und jeder weiß nun, dass man ihn sich merken muss. Man hat das Gefühl, Geheimnisse zu streifen, über deren Bedeutung man im Unklaren bleibt. Palzer verteilt nebensächliche Gegenstände und Begebenheiten, wie einen Armreif und eine Taxifahrt, geschickt über den Text. Zwei parallel entwickelte Erzählstränge, die erst spät zusammenführen, werden so bereits sehr früh miteinander gekoppelt. Er bedient sich dabei geschickt einer filmischen Technik, passend zum männlichen Filmhändler, und einer kriminologischen, passend zur Krimi-Übersetzerin.

 

Das Buch endet mit dem finanziellen Ruin des Filmhändlers, das lässt einen als Leser allerdings ungerührt. Denn man weiß nach der Aufklärung vieler Indizien von einem letzten Geheimnis, einem familiären, einer letzten großen Verwirrung, die nur zur Hälfte aufgelöst ist und ihren Schatten im Nachhinein über den ganzen Text wirft.

 

Palzers spannende Liebesgeschichte ist ganz nebenbei aber auch eine latente Satire auf die Münchner Gesellschaft. Auf schicken Partys unterhalten sich abgeklärte 40- bis 50-Jährige übers Kinderkriegen „als säkulare Form des ewigen Lebens“, spielen mürrisch Mütterideologien gegen Vaterfluchten aus und sind doch nicht auf solche Ereignisse vorbereitet, wie ihnen Palzers Realitätssinn beschert.

 

Gustav Mechlenburg

 

Thomas Palzer: Ruin, Roman, 260 Seiten, Blumenbar 2005, 18 €

 

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