21. Februar 2006

Abklatschen

 

Es ist vielleicht gar nicht so falsch, wenn man wie die Herausgeber dieses Bandes behauptet, der Poststrukturalismus (zack!) habe in einer späten Rezeptionsphase, in den 1990er Jahren, seine Attraktivität darin gehabt, dass linkes Denken sein Prozedere mit der Methode der Dekonstruktion glaubte verbinden zu können. Wenn alles ein Riesentext war, musste man eben nur ordentlich umschreiben, um die gehörigen Effekte zu erzielen. Die Revolution, fabriziert am Schreibtisch. Hätte ja sehr gut ins Zeitalter der Immaterialitäten gepasst. Aber man musste wohl doch einsehen, dass die Basis, zum Beispiel ein wenn auch bald leer stehendes Fabrikgebäude, nicht ganz im Derrida’schen Schriftfetischismus aufgeht. Außerdem würden Analphabeten einen seltsamen Typ von „homo sacer“ abgeben.

 

Dieser Band versucht sich in Desillusionierung: Linke, so der Ruf, lasst die Finger weg von der Dekonstruktion (Poststrukturalismus, Postmoderne, das wird hier nicht weiter differenziert, es wird auch nicht weiter erläutert, wer dazu gehört und wer nicht), das bringt nichts, emanzipatorische Effekte lassen sich mit ihr nicht erzielen. Dekonstruktion könne zwar Positionen zum Einstürzten bringen, was nicht wenig ist, aber sie selbst beziehe keine. Weder links noch rechts, ist sie ein Verfahren, das man jedem in die Hand drücken kann. Carl Schmitt war ein Dekonstrukteur erstes Ranges, und spielte doch den Nationalsozialisten in die Hände. Linke können freilich bei ihr nicht stehen bleiben. Der Reihe nach werden in diesem Band einige bekannte „postmoderne“ Autoren dem Lackmus-Test der Fortschrittskompatibilität unterworfen, und siehe da, sie sind alle angepasst an die Verhältnisse, die sie doch kritisieren wollten.

 

Der lustigste Artikel ist sicherlich der erste, da Gelegenheit gegeben wird, mal wieder O-Töne aus der Hochphase der Frauenemanzipation um 1970 zu lesen. Hier wollte man (Frau) noch alles, freilich um den Preis, Geschlechter-Rassismus zu betreiben (Shulamith Firestone). Am geläuterten Ende dieser Bewegung trifft man in dem Artikel auf Judith Butler, der vor lauter Dispersion von Identitätsknotenpunkten die Möglichkeit abhanden kam, überhaupt noch Kritik zu formulieren, qu.e.d. Auch die Autoren des Bestsellers „Empire“, Negri/Hardt, kommen nicht gut weg. Wer wie Kafkas Katze bloß den Rat geben kann, die Perspektive zu ändern, um Rettung zu finden, wird es nicht überzeugend finden, dort bereits Kommunismus betrieben zu sehen, wo eben noch selbstausbeuterischer Kapitalismus am Werk war. Multitude als Kitschversion oder Karikatur des Marx’schen Arbeiter-Produzenten. Keine Frage, dass auch Giorgio Agamben für linke Positionen nichts zu melden hat. Die archaische Figur des „homo sacer“ ist vielleicht ein erstaunliches Bildungsgut, aber es war klar, dass irgendwann das Doppel von Töten und Opfern um die Hälfte erleichtert wurde, weil man mit der anderen einfach nichts anfangen konnte. Auch im Gedanklichen gibt es so etwas wie Einfuhrbeschränkungen. Die Figur hat, und das ist ein echter Einwand, kaum Differenzqualität. Und wenn auf der anderen Seite der Machtkonstellation ständig „Ausnahmezustand“ herrscht, weiß man eben nicht mehr, von was. Kaum hilfreich sei auch, dass Agamben den Nationalsozialismus davon freispreche, ein Antisemitismus gewesen zu sein, da der Nationalsozialist gar nicht daran geglaubt habe, dass es so etwas wie die jüdische Rasse gebe (ebenso wenig wie die deutsche). Agamben kann im „Juden“ nur eine Spielart des „homo sacer“ sehen: auf nackte Natur reduzieren, um dann töten zu können.

 

Andrea Trumanns Lesart des Sonderfalls Nationalsozialismus besteht darin, dass sie sich weigert, „Juden“ als bloßes Konstrukt zu sehen (wie sie glaubt, dass das der Poststrukturalismus so mache). Sie glaubt, Juden hätten in den Augen der Nationalsozialisten einfach die falsche und zu vernichtende Seite des Kapitalismus verkörpert, nämlich den angeblich unproduktiven Part der monetären Abschöpfung, während der Deutsche auf der richtigen Seite der industriellen Produktion gestanden hätte. Der Jude als Parasit. Aber muss man Poststrukturalist sein, um zu behaupten, die Nationalsozialisten hätten sich ein Bild von den Juden gemacht, ein Konstrukt, nach dem sie gehandelt hätten? Gibt es nicht das Wort Feindbild? (Auch hier kann man wieder an Carl Schmitt denken). Wie sehr man mit Foucaults Wortprägung „Bio-Politik“ vermutlich einer Riesenblase aufsitzt, zeigt gegen die Laufrichtung ein Artikel, der Foucault gegenüber seinen Verehrern verteidigen möchte. Der Diskurs darüber scheint dermaßen hysterisiert, dass man gerne mal wieder das Original vorholt, um zu erkennen, dass bei Foucault nicht mehr zu lesen ist, als dass eine Matrix aufgezogen wird, mittels derer ein paar Dinge miteinander in Beziehung gebracht werden, die alle das Unglück haben, mit dem „Leben“ in Verbindung zu stehen. Leben macht Macht. Darüber lässt sich kaum streiten. „die röteln“ dagegen bringen die gute alte Kritische Theorie, vor allem Theodor W. Adorno, ins Spiel. Der Ausgang der Begegnung? Noch nicht mal unentschieden.

 

Dieter Wenk (01.06)

 

die röteln (Hg.), „Das Leben lebt nicht“. Postmoderne Subjektivität und der Drang zur Biopolitik, Berlin 2006 (Verbrecher)

 

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