14. Februar 2006

Postpunk

 

Eine immer länger werdende Reihe von Bands bezieht sich auf die als „Postpunk“ bezeichnete Musik der späten 1970er und frühen 1980er Jahre und Gruppen wie die zu späten Ruhm gelangten Gang of Four. Da trifft es sich gut, dass der englische Musikjournalist und Sachbuchautor Simon Reynolds vor einiger Zeit ein dickes Buch über die Musik nach dem Punk in Großbritannien und den USA veröffentlicht hat. Für Reynolds war Punk letztlich nur aggressiv interpretierter Rock and Roll – musikalische Radikalität hätten vielmehr die Bands des Postpunks gesucht und auf unterschiedlichem Wege gefunden.

 

Reynolds schreibt sowohl aus Sicht des damaligen jugendlichen Musikbegeisterten als auch des professionellen Schreibers, was erheblich zur Lesbarkeit des Buches beiträgt. Auch nach einem Vierteljahrhundert ist er immer noch fasziniert von der Kreativität und Schnelligkeit der Entwicklung der Musik um 1980, die seinerzeit dazu geführt habe, dass man – zumindest in seinen Kreisen – keine alte Musik hörte und kaufte.

 

Das Buch, das nach einem Songtitel von Orange Juice aus Glasgow benannt ist, gliedert sich in zwei große Teile: Postpunk und New Pop bzw. New Rock. Die jeweiligen Kapitel befassen sich entweder mit einzelnen Bands wie Public Image Limited um John Lydon oder verwandten Bands (Wire, Talking Heads). Manchmal stehen Städte wie Manchester (Joy Division, The Fall) und Sheffield (Gang of Four) im Vordergrund. Gelegentlich sortiert er auch thematisch und beschreibt das Entstehen von Industrial, Synthie-Pop, DIY-Kultur in England, „No Wave“ in New York und den Anfang von Independent-Labels wie Rough Trade in London, das 1976 als Platenladen begann.

 

Die 577 Seiten enthalten zu viele Informationen, um sie hier auch nur ansatzweise andeuten zu können. Reynolds gelingt es, Anekdoten und Interpretationen in ein gutes Verhältnis zu bringen. (Besonders gut gefiel mir, dass der Mischer von Joy Division im Studio für frostige Temperaturen im Aufnahmeraum sorgte, um die unterkühlt-entfremdete Atmosphäre der Band noch besser einfangen zu können). Für ihn ist die Musik des Postpunk auch ein dezidierter Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen wie die Thatcher-Jahre in England und die Deindustrialisierung und anschließende Arbeitslosigkeit in Industriestädten wie Manchester.

 

So unterschiedlich die Musik von Devo, Throbbing Gristle, The Pop Group, Scritti Politti, Tuxedomoon, Josef K, Hüsker Dü (um nur einige weitere zu nennen) auch war, sie erscheint doch als ein Fortschreiben von Punk. Als Kennzeichen des Postpunk sieht Reynolds den permanenten Wechsel und die Gleichberechtigung der Instrumente. Bei vielen Bands emanzipierte sich beispielsweise der Bass vom schüchternen Fundament der Rockmusik und rückte in den Mittelpunkt. Bei elektronischer Musik wie der von Cabaret Voltaire und The Residents war dies ohnehin der Fall.

 

Deutlich wird die Verwirrung (oder positiver ausgedrückt: Offenheit) der Musikindustrie jener Jahre, die nach der kurzen Punkexplosion noch nicht genau wusste, was da eigentlich vor sich ging, und auch deshalb vergleichsweise ungewöhnliche Popmusik herausbrachte. Britische Bands wie Scritti Politti, Simple Minds, Human League, ABC, Heaven 17 usw. hatten ihre Anfänge im (Post-)Punk und gingen Anfang der 1980er Jahre dazu über, eingängigere Musik zu machen, die bisweilen die Charts stürmte. Diese Bands waren auch international sehr erfolgreich und sorgten für eine zweite Welle britischer Popmusik nach den 1960er Jahren.

 

Eine Beschränkung des Buches ist der Fokus auf Großbritannien und die USA, über die sich Reynolds selbst im Klaren ist. Einstürzende Neubauten und DAF tauchen eigentlich nur auf, weil sie auf einem englischen Label erschienen oder die Bands eine Zeit lang in England lebten und auch deshalb die angloamerikanische Musik mehr beeinflussten als Bands wie Fehlfarben. Simon Reynolds hat ein unterhaltsames und erhellendes Buch geschrieben, das vielen – ob sie nun damals dabei waren oder auch nicht – gefallen dürfte.

 

Lars Amenda

 

Simon Reynolds: Rip It Up and Start Again. Post-Punk 1978–1984, Faber 2005, 16,99 GBP

 

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