Alpine Langeweile
Juliette de Merteuil und ihr Partner Valmont scheinen ein ideales Paar; sie genießen die Freiheiten, die sie sich gegenseitig zugestehen, sie sind Spieler am menschlichen Material und sie haben keine Schuldgefühle. Sie kümmern sich auf höchstem Niveau um ihre Karrieren und haben ansonsten alle Zeit, die Muße zu ihrem eigentlichen Arbeitsfeld zu machen. Man geht auf Partys, die ziemlich langweilig sind, weil sie die beiden unterfordern, aber Merteuil und Valmont nutzen die Konversationen, um mit dem dort aufgefischten Material Intrigen zu knüpfen. Im Zentrum dieser ersten Verfilmung des Briefromans von Choderlos de Laclos, der die Reden Robespierres redigierte und ansonsten Erziehungspamphlete für höhere Töchter schrieb, steht die Bekehrung eines Ungeheuers. Es passiert etwas, was auf der eigenwilligen „Carte du Tendre“ der beiden Partner nicht verzeichnet ist: Liebe. Valmont verliebt sich in Madame de Tourvel und macht sich schließlich also doch schuldig, nur innerhalb eines anderen Wertekanons. Für die Art und Weise, wie dies in diesem Film passiert, bräuchte es allerdings nicht den Hintergrund von Laclos’ grandiosem Intrigenreigen. Valmont und Merteuil stechen kaum heraus aus der langweiligen Partysuppe der Fünfzigerjahre. Allein die Besetzung mit Gérard Philipe als Valmont (die Schlitzohrigkeit eines 15-Jährigen) und Jeanne Moreaus als Merteuil (wo ist die ätzende Schärfe dieser Frau hin?) ist eine Katastrophe. Unter ihren Fittichen können sich nur Häschen (männlich und weiblich) tummeln, sich ängstigen und verstecken. Die Schauspielerin der Tourvel sieht aus wie eine katatonische Brigitte Bardot, und der einzige Spaß, den der Film erlaubt, ist der, zu sehen, wann die Starre – körperlich und ethisch – bricht und die ewigen Lockungen des Weibes der Erbsünde alle Ehre machen. Sinnfällig spielt der Hauptteil des Films in den Alpen der Haute-Volée, und wenn Valmont und Tourvel spazieren gehen trägt er schwarz und sie weiß. Valmont hat viel zu tun, er gewinnt klammheimlich das Herz der immer mehr Angebeteten und muss zwischendurch noch dafür sorgen, dass auch die kleine Volanges in die Anfangsgründe des Immoralismus eingeweiht wird. Und zeigt dieser Film nicht schon erste Zeichen von Antiamerikanismus? Der leichtgläubige Amerikaner hat hier jedenfalls keine Chancen. Mit jeder Begegnung zwischen Valmont und Tourvel bricht ein wenig mehr der Teufelspakt zwischen Merteuil und Valmont: keine Liebe. Valmont genießt seit langem einmal wieder nicht das Loswerden von Frauen, sondern ihre Gegenwart. Merteuil ist sauer und will Ergebnisse. Die kriegt sie auch, aber Valmont steht nicht mehr drüber wie einst. Er zerbricht daran wie ein Mann, der etwas verloren hat und nie wieder bekommt. Er betrinkt sich, enthüllt dem kleinen Danceny unliebenswürdigerweise die Wahrheit einer fremden Vaterschaft und provoziert seinen eigenen Tod. Man hat fast Mitleid mit ihm. Madame de Tourvel entschwebt in die Gefilde des Wahnsinns und hofft auf spätere Wiedervereinigung mit Valmont, während als einzige Böse eine Frau übrig bleibt, Juliette de Merteuil, die das Schicksal aber auch noch zeichnet, eine hässliche Brandnarbe entstellt ihr Gesicht, bei Heiner Müller wird später, in „Quartett“, der Krebs von innen genagt haben, „Darling“. Der Musik von Thelonius Monk hört man gern zu.
Dieter Wenk (02.06)
Roger Vadim, Gefährliche Liebschaften (Les liaisons dangereuses), F 1959, Jeanne Moreau, Gérard Philipe, Annette Vadim, Boris Vian, Jean-Louis Trintignant; M: Thelonius Monk