7. Februar 2006

Geschliffen

 

Chargenrollen muss man nicht mögen, sie sind aber doch oft nötig, erfüllen also eine bestimmte Aufgabe. Als menschgewordener Kalauer oder ins Extrem gezogener Typus empfiehlt die Charge ex negativo mittlere Lagen oder bereitet Figuren vor, auf die einen Vorgeschmack zu bekommen bereits Teil der dramatischen Lust ist. Ob dieser Vorgeschmack mit Sympathie oder Antipathie verbunden ist, entscheidet das jeweilige Stück. Bei Hans Karl Bühl, Hugo von Hofmannsthals „Schwierigem“ ist es wohl eher mit Sympathie verbundene Neugier, die die Einführung des neuen, völlig indiskreten, also ganz und gar inakzeptablen Dieners Vinzenz in das Haus Bühl hervorruft.

 

Georg Scharegg in seiner Inszenierung „nach Hugo von Hofmannsthal“ verzichtet auf diesen Rahmen, auch andere überspitzte Rollen wie die des „berühmten Mannes“ gehören nicht zu Schareggs „Die Schwierigen“. Sechs Personen sind übrig geblieben (lässt man einmal Franziska Dicks zweite Rolle als Kammerjungfer Agathe beiseite): Kari, der ursprüngliche Schwierige (Stefan Düe), seine Schwester Crescence (Katja Gaub), die Hysterie in Person, ihr Sohn Stani (Jan Uplegger), der einzige, der durchgängig und sehr unterhaltend die sprachliche Prägung dieser untergegangenen Wiener Sozietät nachempfindet, der Externe Neuhoff (Björn-Ole Blunck), der einzige, der nicht schwierig ist, weil er eben ein Deutscher ist, die Antoinette Hechingen (F. Dick), die schwierig ist, weil sie wieder mit ihrem Gemahl verkuppelt werden soll, und schließlich Helene Altenwyl (Franziska Melzer), die „allomathisch“ mit Kari Bühl verbundene, bis weit ins Stück hinein ins eigene Innere verschalte Exzentrikerin, von Neuhoff nicht erreichbar, am Ende aber selbst, zumindest in subtiler Manier, Neuhoff’sche Direktheiten mit Erfolg einsetzend.

 

Man langweilt sich keine Sekunde in diesen anderthalb Stunden, das sprachlich dicht gepackte Programm, teilweise mit Hochgeschwindigkeitsambitionen besetzt, wird immer wieder von Revuepartikeln der musizierenden und singenden Schauspieler unterbrochen, und es ist klar, dass man bei einem solchen Procedere eines nicht erreichen kann, nämlich den Charme der wie auch immer ironisch durchsetzt gepflegten Konversation, die sich ja selbst ganz verliebt vor- und zugleich ad absurdum führt. Dazu braucht es eins, Distanz zu sich selbst. Eine sozial verankerte Nonchalance. Katja Gaub spielt ihre Rolle auf ihre Art völlig überzeugend, aber sie ist eben auch sehr outriert, eine Art Hosenrolle für Schwiegermütter. Jan Uplegger muss nur zu sprechen anfangen, und schon nimmt er Tempo heraus, eine Fläche bildet sich gegenüber dem gepressten Stakkato der „Mamu“ und dem gewundenen Verbal-Interruptus Stefan Dües. Düe ist ein bisschen glanzlos, man nimmt ihm seine Kompliziertheit nicht richtig ab, die er eher in den Inhalt seiner Sätze steckt und damit versteckt, als dass diese lediglich auf seinen angeblich unmöglichen Charakter verweisen. Björn-Ole Blunck führt den Neuhoff ein bisschen zu dick aufgetragen eklig ein, seine schwarze Lederhosenhaftigkeit übernimmt aber schnell das Ruder und zwingt die Rolle in eine tadellos eindimensionale Selbstüberschätzung.

 

Nur Spaß macht Franziska Dick als Antoinette Hechingen, die den Kari liebt, aber nicht lieben darf, weil sie ja schon den „Poldi“ hat. Eine ganz unsentimentale, ziemlich kratzbürstige, aber dabei doch sehr liebenswürdige Variante der Wiener Antoinette. Die schwierigste Rolle in diesem Stück ist vielleicht doch die der Helene Altenwyl. Eine sehr seltsam verhaltene Mischung aus Sado-Masochismus mit eindeutig mehr masochistischen Anteilen. Ein edles Gewächs im Grunde ohne Einpflanzungsmöglichkeit. Nicht ganz klar ist, warum man Franziska Melzer auf Zirkusdompteuse, rein äußerlich gesehen, getrimmt hat. Weil der Kari gern in den Zirkus geht? Weil sie ihn zuletzt zu sich selbst erlöst?  Was Franziska Melzer eher insinuiert als glaubhaft spielt, ist verhaltene Intensität. Sie ist die Figur mit dem meisten Understatement; während sich Upleggers Stani überzeugend in der Fläche verliert, ist die Helene die Figur mit der größten Dichte. Vielleicht hat Franziska Melzer versucht, der Helene diese an allen Ecken vibrierende Kompaktheit zu geben, aber sie hat die Figur beinah neutralisiert. Vielleicht darf die Schauspielerin der Helene auch einfach nicht blond sein, diese nahezu erbliche Belastung durch Sex-Appeal.

 

Hugo von Hofmannsthal ist eindeutig der falsche Kandidat, die Festung Europa schleifen zu wollen – er ist ja schon ihr eigener Nachlassverwalter. Die Inszenierung macht Lust darauf, seinen nostalgischen Bedürfnissen anderweitig und entschiedener nachzugehen.

 

Dieter Wenk (02.06)

 

Festung Europa 3: Die Schwierigen (nach Hugo von Hofmannsthals „Der Schwierige“), Theaterdiscounter, Berlin, Regie: Georg Scharegg