2. Februar 2006

High Energy

 

Dieses kleine Alterswerk dient ideal dazu, das tief im Menschen schlummernde manichäische Bedürfnis zu befriedigen. Obwohl es hier und da Anklänge an Joseph Conrad gibt, die jedoch eher entfernte Effekte des Nautischen sind, wird hier natürlich nicht auf subpsychologischer Klaviatur gespielt. Es geht hier ganz einfach zu, gut und böse, Übertretung und Höchststrafe. Das Überraschendste an der pamphletistischen Novelle ist ihr Aufbau. Schilderung einer Kleinstgesellschaftsidylle auf Madagaskar um 1700 mit leichten Einsprengseln heroischen, aber auf Dauer aussichtslosen Außenseitertums, mythischen Anklängen und Echorufen aus dem verlorenen Paradies. Teil zwei konstatiert den Zusammenbruch und führt ein negatives Gegenmodell an. Teil drei beschreibt ausführlich den Untergang der gesamten Zivilisation. Und nur, weil ein Affe starb?

 

Kapitän Mission, ein Pirat und der positive Held dieses Tragelaphen, ist keine Erfindung des Autors. Er soll, Jahrzehnte vor der französischen Revolution, demokratische Verhältnisse in einer Siedlung von etwa 300 Männern und Frauen eingeführt haben. Er hat sich nicht mit den Ureinwohnern angelegt, und er hat vielleicht als einer der ersten eine Ahnung von so etwas wie Ökosphäre gehabt. Nicht umsonst steht die Schonung der Lemuren und ihrer Geister an prominenter Stelle der Mission’schen Gesetzestafel. Burroughs schildert jedoch nicht die Funktionsweise der Idylle, sondern ausschließlich das sehr sentimentalische Verhältnis des Siedlungsgründers mit einer Gegenwelt. Die kuschelige mythische Einlagerung ist nicht von langer Dauer. Der kapitalistische Verwerter steht schon bereit. Missions Hort wird gesprengt, mit dem Guten geht aber auch das Schlechte in die Luft, der Fluch der Büchse der Pandora hallt bis hierhin nach.

 

Mit Missions Tod ist der beschreibende Teil vorbei. Es folgt ein kurzer kritischer fiktiver Rückblick auf Christus’ angeblichen Heilkünste. Von hier aus nimmt das Pamphlet seinen Ausgang. Christus als Monopolisierer des Wunders und Verminderer des Lebens. Christus hat die falschen Leute geheilt. Aber auch die „Totschläger“ finden keine Gnade: der homo „sap“ ein Fehlschlag der elementar-naturalistischen Formel „Energie zu Materie“. Der dritte Teil ist klassisch-paranoisch grundiert. Hier geht es mal wieder um den Versuch der Homogenisierung der Gesellschaft durch Ausmerzung des Abweichlertums. Aber die Mission’sche Rache kann durch den Staatsterror nicht aufgehalten werden. Seuchen und Viren durchziehen zügig die Lande und entvölkern die Welt. Dann kann auch der Virus sterben und alles wieder von vorne anfangen. Vielleicht klappt’s ja dann mit der auf Dauer gestellten Geisterwelt. „Ghost of Chance“.

 

Die Qualität dieser drei Teile ist sehr unterschiedlich. Der erste ist nicht unsympathisch, regt zumindest an darüber nachzudenken, ob der Idylle der Kitsch inhärent ist und was es überhaupt mit dem so genannten natürlichen Gleichgewicht auf sich hat. Stabile Lagen, sind sie an sich schützenswert? Teil zwei gibt zu denken, dass Monopole als stabile Lagen ja eher nicht schützenswert sind, auch und gerade wenn sich das Christentum dahinter verbirgt. Teil drei zeigt, wie sehr das Leben selbst dazu tendiert, aus dem Ruder zu gehen. Dieser Teil ist der schwächste, Trash von der unerträglichen Art. Ein Missverständnis gröbster Art sind die beiden Nachworte. Burroughs’ Antihumanismus ist kein Wolf im Öko-Schafspelz. Wolf und Schaf laufen auf ein und derselben Bahn. Das hat zur Folge, dass sich der Manichäismus noch mal in sich selbst verdreht. Gut und böse tauschen sich aus, am Ende heißt es: Hauptsache, die Sache läuft ewig rund.

 

Dieter Wenk (01.06)

 

William S. Burroughs, Ghost of Chance, aus dem Amerikanischen von Manfred Gillig-Degrave, Höfen 2003 (Hannibal)