1. Februar 2006

Kontinentaldrift

 

Man muss einfach vergessen, dass es sich um Literaturverfilmungen handelt. Das Drehbuch hat sich inspirieren lassen von … Danke, Fjodor, dein Stoff ist reif für Amerika. Die Eingangsszene macht klar, dass es sich im Grunde um einen Western handelt. Auch wenn dann nicht so viel geschossen wird. Eigentlich wird überhaupt nicht geschossen. Aber wir haben Aljoscha, den Kuhjungen, den Naiven, Gläubigen, der sich rührend um die Farm kümmert, die symbolisch auch schon mal ein bisschen mehr ist. Schließlich ist der eigene Vater ein übler Sünder, der das auch weiß, der es trotzdem nicht lassen kann. Aber man sieht, er hat seinen Spaß, nur übertreibt er natürlich maßlos. Aber wer übertreibt nicht in dieser außergewöhnlichen Männerfamilie. Aljoscha wie gesagt wird Mönch, Dimitri ist ein leidenschaftlicher Spieler, der das Leben liebt, und Iwan, der in Moskau lebt, zelebriert das „mal du siècle“ und ist stolz darauf, bewiesen zu haben, dass, wenn Gott tot ist oder es ihn nicht gibt, dann alles erlaubt sei.

 

Und dann ist da noch Smertjakow, der nicht voll akzeptierte Sohn, ein Bankert, der wie Dostojewski an Epilepsie leidet. Nur mit diesen Männern kann man keine Ranch führen, also müssen noch Frauen und ein bisschen Geld her. Das „und“ kann man sich sparen, die Frauen sind hier das Geld, die lebenden und die toten. Da ist die tote Mutter, die allen Söhnen ein Erbteil hinterlassen hat, das der Vater aber nicht herausgibt, da ist Katja, die Dimitri liebt, leider einseitig, und da ist Gruschenka, die Wirtin, die beinahe in dem Maße alle Männer liebt wie Vater Karamasow alle Frauen. Don Juan und Maria Magdalena. Natürlich kommen sie auch zusammen und schmieden böse Pläne, auf dem Rücken von Dimitri, an dessen Geld sie kommen wollen, da er, wenn er die Schuldscheine nicht zurückkaufen kann, ins Gefängnis geworfen würde und kein Anrecht mehr aufs Erbteil hätte. Aber die Leidenschaft macht das Spiel zunichte, Dimitri verliebt sich in seine potenzielle zukünftige Mutter, die das auch nicht sein möchte und außerdem Spaß an etwas Abwechslung hat.

 

Maria Schell ist Gruschenka, und sie macht ihre Sache gar nicht schlecht, ihr Tanz vor den Zigeunern zeigt sie mit einem anderen Gesicht, das aber freilich immer wieder unfreiwillig angeknabbert wird von dem später von Romy Schneider übernommenen lieben treuen Gesicht, wie man’s ja kennt und nicht mehr erträgt. Yul Brynner als Dimitri freut sich riesig über dieses närrische amoralische Kind, aber bald wird er leiden, da gilt es die eine oder andere Nachtwache zu übernehmen und von einem Liebhaber (dem polnischen Grafen) zum anderen (dem eigenen Vater) zu laufen. Das Biest lässt sich nicht halten, ist es Taktik oder einfach Naturell? Es kommt zum Eklat, der Vater provoziert den eigenen Sohn, weil sie die gleiche Liebhaberin haben, Todesdrohungen werden geäußert und von anderen im Gedächtnis behalten. Mittlerweile zirkulieren 3000 Rubel, die Dimitri nicht an die bestimmte Person weiter geleitet hat, und warten darauf, dass sie wieder zu Hause ankommen.

 

Dann ist der Vater tot, Dimitri scheint endlich von seiner Geliebten erhört zu werden, aber das Glück wehrt nicht lange, die Polizei nimmt den leichtfüßigen Sohn fest. Man klagt ihn des Raubmordes an, und man erinnert sich des vierten nicht ganz astreinen Sohns, der sehr geldgeil ist und einen hundertprozentigen Plan ausgeheckt hat. Zwar hat Smertjakow, nach ideeller Anleitung des ältesten Sohns (alles ist erlaubt) und um diesem zu imponieren den Alten umgebracht (ein vorgeschützter Anfall ließ ihn nicht als möglichen Täter in Betracht kommen), aber alles ist so arrangiert, dass nur Dimitri der Mörder gewesen sein kann. Als Iwan das erfährt, wird er schnell ein anderer Mensch, um seinen Bruder zu retten, und bezichtigt sich selbst des Mordes. Inzwischen hat sich aber der Bösewicht wie Judas aufgehängt, der beste Beweis ist somit selbst vernichtet. Die Geschworenen glauben dem Bruder nicht, außerdem spielt die ungeliebte Katja noch eine unschöne Rolle, indem sie einen entlarvenden Brief vorlesen lässt, in dem Dimitri bekennt, seinen Vater umbringen zu wollen, um an das Geld zu kommen. Aber Männer sind immer viel edler als sie scheinen, und Frauen viel gemeiner, als man es ihnen an der Nasenspitze ansieht. Und da das Erbe nun frei ist, kann genug Geld locker gemacht werden, um Dimitri freizukaufen, der fliehen und gleich noch eine unschöne Schuld an dem alten Hauptmann und dessen lungenkranken Sohn begleichen kann. Und am Ende knirschen die nicht berücksichtigten Buchstaben im Schnee und formen auf Geheiß des Großinquisitors tausendmal die Worte „happy ending“.

 

Dieter Wenk (05.02)

 

Richard Brooks, Die Brüder Karamasow, USA 1957, Yul Brunner, Maria Schell, Claire Bloom