31. Januar 2006

Eine Spur hinterlassen?

 

D.O.M. Foksal Gallery Foundation, Warschau 2004, Johnen Galerie, Berlin 2004

 

Die Installation D.O.M. hat Robert Kusmirowski im Jahr 2004 gleich zweimal an verschiedenen Orten realisiert: im Herbst in der Berliner Galerie Johnen und danach in der Foksal Gallery Foundation, Warschau. Die komplexe Arbeit war in der Ausführung an beiden Orten weitgehend identisch, ihre räumliche Situierung fiel jedoch recht unterschiedlich aus. In Berlin hatte Kusmirowski die Installation in einen fensterlosen White Cube versetzt und sogar eigens eine Wand einziehen lassen, um D.O.M. in einem nahezu geschlossenen, neutralen Raum zu zeigen. Bei Foksal grenzte die Arbeit von zwei Seiten her an eine Fensterfront und bezog so auch den Außenraum ins entstehende „Bild“ mit ein.

 

Wie schon bei anderen Werken verstand Kusmirowski es auch hier, die Aura des Ausstellungsraums für seine Zwecke umzudeuten – zugunsten eines künstlichen und dabei äußerst kunstfertig erstellten Stücks „Wirklichkeit“ mit diversen gedoubelten Objekten. Als handwerklich perfekter Kopist ist er in der Lage, mit simplen Mitteln wie Gips, Pappe, Holz, Styropor und Farbe nahezu jede beliebige Oberfläche und entsprechende Gegenstände zu imitieren und auf diese Weise Dinge quasi im Status eines „Abbilds ihrer selbst“ zu schaffen. So reproduzierte Kusmirowski einmal ein Fahrrad, das Teil einer seiner Aktionen war (Paris–Luxembourg–Leipzig, 2003) zu Ausstellungszwecken als perfekte Replik: Das hybride Objekt ist so etwas wie ein reines, leeres, zugleich aber auch voll materialisiertes Zeichen für den abwesenden Gegenstand. Ein Ding, das weder „echt“ ist, noch ein Modell oder Ready Made, sondern eine minutiös durchgearbeitete Skulptur aus Holz und Gips, die dem ursprünglichen Fahrrad zum Verwechseln ähnlich sieht.

 

Solche Verdoppelungen und deren Inszenierung betreibt Kusmirowski auch in größerem Stil und Umfang, etwa mit Gestaltung ganzer Räume oder Interieurs. Dabei ist es gerade die Irrealität des White Cube, die für ihn zur idealen Folie wird, zu einem Freiraum, in dem sich mit dem Eindruck des Echten, des wahrhaftig Gegenständlichen als ausgewiesener Fiktion hervorragend spielen lässt. So wird der Ausstellungsort zur Bühne, auf der die nachgestellten Objekte wie Kulissen des Authentischen fungieren, während sich ihre reelle Verortung verschiebt und mit Imaginärem mischt. Kusmirowski entwickelt installative Formen von Narration, innerhalb derer er allerdings nichts eigentlich erzählt oder direkt ausspricht, sondern dies übers Arrangement und gleichsam nebenbei hervortreten lässt, manchmal, bei Eröffnungen etwa, die angedeuteten Bilder und Zusammenhänge auch durch Performances weiter verdichtend.

 

Die Arbeit D.O.M. markiert eine der bisher wohl eigentümlichsten und eindrücklichsten, unterschwellig vielleicht auch beklemmendsten Inszenierungen des Künstlers: Für die Installation hat er ein Stück eines Friedhofs detailliert nachgebaut und in den Ausstellungsraum versetzt. D.O.M. ist keine Nachbildung einer bestimmten Grabstätte, sondern eher ein Erinnerungsbild von Friedhöfen, wie sie in Polen häufig und etwa auch in Kusmirowskis Heimatstadt Lublin zu finden sind. Friedhöfe dieser Art stammen aus der Zeit um Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts. Kusmirowski interessiert daran einerseits die stilistische Vielfalt und Gestaltungskraft, mit der hier der Trauer Raum gegeben wurde, aber auch die Tatsache, dass solche Formen für vergangenes Gedenken stehen, für eine reiche, im öffentlichen Leben verankerte Kultur des Sterbens und des Todes, die heute so nicht mehr gegeben ist. Diese Grundzüge verbindet er mit dem Motiv des Verfalls selbst: D.O.M. zeigt uns einen Friedhof im Zustand der Verwahrlosung – und ist so auch als seinerseits vergängliches, in der Zeit gesetztes Zeichen des Erinnerns aufzufassen, das dem Verschwinden und der Auslöschung anheim gegeben ist.

 

Das eigentliche Friedhofsareal nimmt bei dieser Installation den kompletten hinteren Teil des Ausstellungsraums ein. Mit dieser Einbettung lenkt und reduziert Kusmirowski den Blick wie beim potemkinschen Dorf auf relative Frontalansicht und richtet das Werk entsprechend aus. Von der für Besucher präparierten Perspektive aus ist diese Illusion perfekt. Und es ist tatsächlich verblüffend, die scheinbar so soliden Grabsteine, etwa während des Aufbaus, einmal von hinten anzusehen. Die Rückseite ist offen, man sieht Styropor, Pappe, Holz und kann es mit dem Eindruck der Schauseite kaum zusammenbringen. Diesen Lenkungseffekt fixiert Kusmirowski darüber hinaus mittels Abgrenzung durch eine halbhohe Backsteinmauer mit eingelassenen Gittern, die Ausstellungsbesuchern zwar den Zugang zum Areal versperrt, den Blick darauf aber wie ein pittoresker Rahmen unterstreicht. Die aus vertikalen Stäben gebildeten, nach oben bogenartig gerundeten Gitterelemente sind links und rechts in Säulen aus Backstein verankert, und in der Mitte der Einfriedung befindet sich ein ebenfalls aus Gitterstäben gestaltetes, verschlossenes Tor. Außerhalb des Friedhofs und in Verlängerung des Torzugangs hat Kusmirowski noch eine passend ramponierte Sitzbank aufgestellt, die jene zentrale Blickachse einmal mehr betont.

 

Alles atmet hier Verfall: Die Gitter und das Tor wirken alt und angerostet, Teile des verwitterten Mauerwerks sind herausgebrochen. Auch der eigentlich prächtige Friedhof sieht heruntergekommen und ungepflegt aus, Grabsteine stehen schief, Urnen sind umgestürzt, und die ohnehin spärlichen Blumen und Anpflanzungen sind vertrocknet. Zwischen den einzelnen Gräbern zeigt sich lehmige Erde, die in Rissen spröde aufgebrochen ist, an anderen Stellen finden sich sandige Brachen voller Geröll und Staub. Diese Gräber hat seit langem niemand mehr besucht, und als Symbole menschlichen Gedenkens tritt an ihnen umso nachdrücklicher dessen Abwesenheit zu Tage. Die Zeichen bleiben unbehaust, die Trauer findet keinen Träger.

 

Ein Großteil der Faszination von Kusmirowskis Installationen beruht darauf, dass man selbst bei besserem Wissen um die Kulissenhaftigkeit des Werks an den Details entlang beliebig weit ins vermeintlich Reale der Dinge vordringen kann. Der Zoom ist offenbar grenzenlos, noch im Moment des Durchschauens stellt sich ein glaubwürdiges Bild des Echten ein. Und doch bezieht die Arbeit ihre eigentliche Kraft vor allem aus der Umkehrbarkeit dieser Perspektive: Je überzeugender der Schein, desto stärker ist der Eindruck des Wirklichen auch beladen mit Künstlichkeit, durch die er untergraben und ausgehöhlt wird. Die Wechselseitigkeit von Schein und Realität, von Bildhaftigkeit und gegenständlichem Eindruck spielt Kusmirowski in all seinen Installationen mit großem Raffinement durch. In D.O.M. verknüpft er dies jedoch auf beklemmende Weise noch enger mit dem Sujet: Werden hier doch Grabstätten, Inbegriff des persönlichen und individuellen Gedenkens also, imitiert und damit zugleich auch als entleerte Zeichen installiert. Bereits ihre reell ja absurde Präsenz im White Cube offenbart sie – dem vom Künstler ja ausdrücklich fokussierten Augenschein zum Trotz – als entpersonalisierte Fiktion, sie stehen eben nicht für einzelne Personen, sondern sind, in ihrer faktischen und institutionellen Realität als Kunstwerk, autonomes Werk und stehen damit letztlich für sich selbst. Daraus gewinnt Kusmirowski hier wie nebenbei eine Parabel über den ästhetischen Schein.

 

An einem ambivalenten Punkt von Repräsentation knüpft er auch mit der Titelgebung an: Das Kürzel D.O.M. steht für den lateinischen Weihespruch „Deo Optimo Maximo“ (auf Deutsch: „Gott, dem Besten und Höchsten“). Insbesondere in Mittelalter und Renaissance fand es Verwendung auf Grundsteinen und Grabinschriften. Auf alten polnischen Friedhöfen ist es häufig zu finden, vorwiegend übrigens auf Gräbern von Protestanten. Das Zusammenspiel von Titel und Werk ist in seiner religiösen Grundierung deutlich, aber ebenso zwiespältig. Es bleibt durchaus offen, ob Kusmirowski mit D.O.M. nun „Gott, den Besten und Höchsten“ als den einen Fluchtpunkt anruft, in dem der Mensch in aller Vergänglichkeit auch dann noch aufgehoben bleibt, wenn sich Vergessen breit macht und sich die irdische Trauer unweigerlich in Zeitlichkeit aufgezehrt hat. Oder ob Kusmirowski hier nicht vielmehr jenem ideal imaginierten Punkt eines „Höchsten“ gerade diejenige existenzielle Leere widmet und zuweist, die hinter all den zeichenhaften Illusionen aufscheint.

 

Jens Asthoff

 

 

 

31. Januar 2006

Aktuelle Ausstellung

 

ROBERT KUSMIROWSKI: Ornaments of Anatomy, Band 2, Kunstverein Hamburg, bis 26. März

 

Es ist ein Katalog mit einem Gespräch zwischen Robert Kusmirowski und Yilmaz Dziewior sowie Texten von Jens Asthoff, Sebastian Cichocki, Joanna Mytkowska, Janneke de Vries, Joanna Zielinska u.a. im Hatje Cantz Verlag erschienen.

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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