30. Januar 2006

Wider die Triangulation

 

Manche von Foucaults Provokationen wie der vom „Tod des Menschen“ funktionieren nur deshalb, weil der Provozierte erst die hierbei zu Grunde gelegte archäologische Methode kennen lernen muss, die eine solche Rede erlaubt. Hat man die Historisierung der Figur des „Menschen“ begriffen, so hat man überdies Gelegenheit, über die Metaphernwut Foucaults nachzudenken, die es geradezu zu einer Geschmacksfrage macht, ob man mit diesem Autor etwas anfangen kann oder nicht.

 

In dieser Einführung des an der Universität Zürich lehrenden Professors für Neuere Allgemeine Geschichte steht allerdings keine Textinterpretation und somit auch keine Stiluntersuchung im Vordergrund. Philipp Sarasin möchte mit den „wichtigsten Linien“ von Foucaults Denken bekannt machen und die zentralen Konzepte benennen, mit denen sich dies Theoretisieren organisiert. Foucaults Schreiben bewegt sich nicht auf eine zunehmende Systematisierung eines einmal gefundenen Grundgedankens zu. Fast jedes Buch stellt das ihm vorhergehende in Frage, betritt neues Terrain, lässt Schlüsselbegriffe fallen, um neue ins Spiel zu bringen, die, verglichen mit früheren, diesen diametral entgegengesetzt scheinen. Als wäre das nicht schon verwirrend genug, gehört Foucault nicht zu den Intellektuellen, deren Praxis sich direkt aus dem Theoretisieren ergibt. Man fragt sich, wie sein seltsam totalisierender Machtbegriff überhaupt noch ein sinnvolles Handeln zulässt in dem Sinn, dass es sich nicht vereinnahmen lässt.

 

Aber die großen Schwierigkeiten, diesen Autor (auch nach dessen „Tod“) zu begreifen, fangen schon früher an, mit seiner opulenten Doktorarbeit „Wahnsinn und Gesellschaft“. Man wird hier vergeblich nach einer klinischen Definition des Wahnsinns suchen, ist doch der Wahnsinn für Foucault eine Art verschütterter Positivität, deren Reste aus unlesbaren Texten großartig gescheiterter Geister wie Nietzsche und Hölderlin blinken. Foucault versucht, den Wahnsinn aus der Klammer der ihn begreifenden „Vernunft“ zu befreien. Der Metaphysikvorwurf, den er sich damit einhandelte, ließ nicht lange auf sich warten, Foucault war eines der ersten Opfer von Derridas „différance“-Installation. Für Foucault, anders als für Derrida („es gibt kein Außerhalb des Textes“), gab es schon ein „Draußen“ (und sei es der Wahnsinn), das sich nicht als naher oder ferner Abkömmling der „symbolischen Ordnung“ situierte. Das mag ein Grund sein für Foucaults beschwörendes Schreiben. Nicht umsonst ist von so vielen „stummen“ Entitäten die Rede, denen man wie in einer Bacon’schen Arena die Haut abziehen muss, dass man sie hört.

 

Die Hauptstärke von Sarasins Buch liegt wohl darin, dass es erst gar nicht den Versuch macht, den Foucault’schen Steinbruch in geleckten Marmor zu überführen; vielmehr wird immer wieder der intellektuelle Druck spürbar, es anders machen zu wollen als andere (zum Beispiel Sartre und Lacan), andere Anschlüsse zu suchen (mal nicht Marx und Freud) oder der analytischen Kälte noch eins draufzusetzen. Der methodologische Entzug von Positivitäten ist vielleicht das größte Rätsel, das sich bei Foucaults kritischen Unterfangen von Archäologie und Genealogie ergibt. Seine Diskursanalyse ist ja keine (beschreibende) Systemtheorie. Man weiß nicht so recht, wie man den polemischen Ton verorten soll. Das große Pathos, das sich in der Sprache niederschlägt. Und man reibt sich die Augen, wenn längst Totgeglaubte wieder auferstehen wie das Subjekt, das sich wieder um sich zu sorgen beginnt; aber in einem prätendierten Selbstgesetzgebungsverfahren, das den Anspruch hat, auf eine dritte Instanz (das Gesetz, die symbolische Ordnung) verzichten zu können. Irgendetwas wie den Kurzschluss von Körper und Seele muss diesen Denker umgetrieben haben. L’action directe

 

Dieter Wenk (11.05)

 

Philipp Sarasin, Michel Foucault zur Einführung, Junius 2005

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

amazon