19. Januar 2006

Kettentechnik

 

Wenn der Kreis an Freunden und Bekannten um einen herum in zügigem Tempo abnimmt, fragt man sich, ob das auch einem selbst liegt. Als ob man ein Virus in sich trüge, das zunächst nur für die Kontaktpersonen tödlich wäre. Sébastian Grenier jedenfalls ist ratlos. Die Welt um ihn wird kleiner, aber er weiß nicht, was das alles bedeutet. Es muss irgendwie mit seiner Vergangenheit zu tun haben. Ehemaliger Spion für den französischen Geheimdienst, seit zehn Jahren in Zürich tätig als Finanzberater für bedeutende Firmen.

 

Ein gewisser Chance, hohes Tier in der Schweizer Beamtenhierarchie, nimmt Kontakt mit Grenier auf. Die Fläche, auf der das Puzzle gelegt wird, nimmt Konturen an. Grenier hat das Pech, dass sein Name im Zusammenhang mit einem Ermittler fiel, der von so genannten revolutionären Brigaden in einer Tram zusammengeschossen wurde. Niemand nimmt an, dass es sich um Terroristen aus dem eigenen Land handeln könnte. Jemand anderes muss hinter dem Attentat stecken. Auf jeden Fall wissen die Attentäter nicht, inwieweit Grenier eingeweiht war in das, was der Ermordete bereit war, bekannt zu geben. Dieser Mann wusste anscheinend, wer sich hinter den exekutierenden Brigaden wirklich befand.

 

Jetzt ist also Grenier in der Position des ermordeten Ermittlers, aber er realisiert es nicht. Und welche Rolle spielt Chance? Ist er bloßer Informant, Auftraggeber, oder Intrigant, der Grenier an der Nase herumführt und ihn für sich schnüffeln lässt? Und welche Rolle spielt Anna, die Frau, mit der Sébastian zusammenlebt? Beide scheinen wenig bis nichts von den wirklichen oder vergangenen Tätigkeiten des anderen zu wissen: Sébastian hat Anna nie über seine Karriere als Spion eingeweiht. Und Anna verschweigt ihre mindestens halb-konspirativen Tätigkeiten an der Universität, an der sie lehrt. Ein Klima allseitigen Misstrauens baut sich auf. Wem kann man noch trauen? Mit seinem ehemaligen Kollegen Henri tauscht sich Sébastian sentimentalisch aus. Geheimagent zu sein, was für eine Randexistenz. Niemals mit offenen Karten spielen können. Kurze Zeit später ist Henri tot. War es Selbstmord?

 

Grenier gerät in Panik. Er fährt nach München, um einen weiteren Kontaktmann zu warnen. Oder um sich Ratschläge zu holen? Meyer jedenfalls, der Kontaktmann, ist sauer. Ein Tag später ist auch er tot. In Zürich überschlagen sich die Dinge. Ein hoher Regierungsvertreter stirbt bei einem Anschlag direkt vor der Universität, Greniers Frau wird als Mitverdächtige festgenommen. Durch das Eintreten von Chance für Anna lässt sich die Polizei beschwichtigen, sie kommt frei. Doch Grenier muss jetzt auch für Anna fürchten, denn was weiß sie wirklich? Eine gemeinsame Flucht misslingt, Anna wird entführt, später findet man sie tot im Kofferraum eines Autos. Grenier nervt die betonte Langsamkeit der Polizei, er fängt an, selbst zu ermitteln. Aber irgendwie weiß er, dass er gegen den KGB, der hinter der Sache steckte, keine Chance hat. Eine Frage der Zeit, wann Grenier selbst mit dem Finger auf sich zeigt, dann nämlich, wenn er selbst die Runde abgeschritten hat und nur noch er allein übrigbleibt. Kurze Zeit später wird die Akte tatsächlich geschlossen.

 

Guter Film, hervorragende Schauspieler, allen voran Michel Piccoli als undurchschaubarer Chance, Lino Ventura, dem man dabei zusieht, wie ihm die Luft zum Atmen ausgeht, und ein grandioser kleiner Auftritt von Heinz Bennent als Meyer. Die Musik von Ennio Morricone ist natürlich auch erstklassig.

 

Dieter Wenk (01.06)

 

Yves Boisset, Der Maulwurf (Espion, lève-toi), F 1981, Lino Ventura, Krystyna Janda, Michel Piccoli, Heinz Bennent, Bruno Cremer, M: Ennio Morricone