15. Januar 2006

Generationenvertrag

 

Berlin hat zur Zeit ein bauliches Problem, aber es stellt sich nicht in der Frage: Wie lässt sich auf dem Schlossplatz auf Gebautem bauen? Das Schloss, wenn es denn kommt, wird nicht in den „Palast“, der abgerissen werden soll, hineinwachsen oder was auch immer. Es scheint architektonische Tatbestände zu geben, vor der jede postmoderne „Zweisprachigkeit“ zu schweigen hat.

 

Von ganz anderen Lagen berichtet der Band „Auf Gebautem bauen“, der anhand zahlreicher Projekte in Südtirol den wohl erfolgreich zu nennenden „Dialog mit historischer Bausubstanz“ beschreibt und bebildert. Walter Hauser macht in seinem Einführungsbeitrag darauf aufmerksam, dass die Tatsache des An- und Weiterbauens bis zur Moderne eine nicht hinterfragte Tradition war, also etwas ganz Selbstverständliches. Dass Konzepte wie der Erhalt der baulichen Substanz zumal im Historismus keine Rolle spielten, widerspricht dem nicht. Erst die architektonische Moderne mit dem Tabula-rasa-Prioritäten begünstigenden „International Style“ machte Schluss mit dem Prinzip der wie auch immer verschliffenen Kontinuität. Das Verdienst der Postmoderne war es, erneut darauf aufmerksam zu machen, dass sich nicht jedes bauliche Problem „international“ lösen lässt. Das Vergessen, das man der Postmoderne gerne unterstellt, gab ihr überhaupt erst Auftrieb – über die mehr oder weniger geglückten Werke lässt sich natürlich trefflich streiten.

 

Es ist vielleicht bezeichnend, dass das Wort Postmoderne in diesem Band an keiner Stelle fällt. Zu selbstverständlich scheint der Ansatz des „Dialogs“, um ihn noch terminologisch zu unterfüttern. Der Band ist in drei Teile geteilt, der erste behandelt, gewissermaßen monografisch, die „Burg“, nämlich das Landesmuseum Tirol, der zweite Teil behandelt An- und Weiterbauten auf dem „Dorf“, der dritte solche in der „Stadt“. In sehr knapp gehaltenen Textbeiträgen werden die Eingriffe, Bearbeitungen, Renovierungen oder kompletten Erneuerungen vorgestellt und aus ihrem jeweiligen lokalen Bestand heraus gerechtfertigt. Grund- und Aufrisse geben einen Eindruck von der fotografisch so nicht repräsentierbaren Gesamtlokalität, deren aussagekräftigsten behandelten Zonen gleichwohl mit Fotos dokumentiert sind.

 

Zwei visuelle Eindrücke, die sich bereits beim bloßen Blättern des Bandes zeigen und durchhalten, sind die der Gediegenheit und Schickheit. Obwohl in dem Band nicht von Geld die Rede ist: Man hat sich die Umbauten einiges kosten lassen. Der Eindruck des Erlesenen geht bisweilen so weit, dass man bei den einzelnen Bildern gar nicht mehr weiß, zu welchem Kontext sie eigentlich gehören, so etwa bei der Totenkapelle des Friedhofs Luttach, für die der Ahrntaler Künstler Alois Steger einen Wandries geschaffen hat: Hier hat vor allem ein Dialog mit Filmen von David Lynch stattgefunden. Bei anderen Gebäuden wie dem Haus Tasser fällt es schwer, Innen- und Außenperspektive zusammenzubringen. Hier hat man es eher mit Dichotomien zu tun. Andere Bilder bestechen schlicht durch ihren vermutlich ungewollten surrealistischen Aspekt, wie das Foto auf Seite 111 (Kunsthaus Meran). Beim letzten städtischen Beispiel, der Europäischen Akademie Bozen, ursprünglich ein Gebäude für die damalige faschistische Jugend (ein Baukasten mit verschiedenen Elementen), hätte man sich gerne noch mehr historische Aufnahmen zwecks Vergleichs gewünscht; aber gleichwohl ahnt man das Prinzip des Dialogischen und seinen hier wohl sichtbarsten Effekt: Lockerung, Auflockerung alles zu Strengen oder Bodenständigen oder Lokalen (das ja mit der Moderne auch „international“ sein kann).

 

Aufgrund der zahlreichen vorgestellten Projekte bleibt der Band auf seinen 180 Seiten mit vielen Abbildungen und durchgängiger Zweisprachigkeit (deutsch und italienisch) eher an der Oberfläche der ja auch wichtigen lokalpolitischen Probleme, die für den Nicht-Südtiroler aber wohl auch nicht so wahnsinnig spannend wären. Insofern ist es in diesem Band ziemlich gelungen, im Überblick vorzustellen, was möglich ist, wenn der Wille zu getrennter Synthese und – Geld vorhanden sind.

 

Dieter Wenk (01.06)

 

Susanne Waiz, Auf Gebautem bauen/Costruire sul costruito. Im Dialog mit historischer Bausubstanz. Eine Recherche in Südtirol, Wien/Bozen 2005

 

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