11. Januar 2006

Design for living

 

Kein Schaben, kein Kratzen, kein konzentriertes Maßnehmen mit dem Modell, das sich jederzeit entziehen kann. Man sieht ihn kein einziges Mal mit einem Pinsel in der Hand. Und ist er nicht eher Mönch als Maler? Aber ein Ruf geht ihm voraus, darin gleicht er seinem beliebtesten Objekt. Man glaubt ihnen. Aber mindestens einer glaubt nicht mehr an sich selbst. Der Maler hat einen Auftrag, aber er führt ihn nicht aus. Vielleicht liegt das daran, dass seine Ikone selbst ein wenig in Verzug ist? Aber womit?

 

Geschichtslose Welt. Russland um 1400. Das Allheilmittel wird noch benutzt, kommt aber nicht mehr überall an. Am Ende wollen der Glockenbauer und der Maler es noch einmal wissen. Aber der eine sieht aus wie ein früher Ausbeuter vor dem Kinski’schen Herrn, der andere trägt uns mit seinen phantastischen Farben in Zeiten jenseits der Religionsunterstützung. Eine fast ungläubige Andacht des Zuschauers, als ob sich da jemand im Jahrhundert geirrt hätte. Abstrakter Expressionismus. Tarkowskis Unterwanderung des sozialistischen Realismus.

 

Ansonsten ist der Film häufig wie mit Breughel’schen Bildern gemalt. Sie lernen laufen, aber immer in Richtung des Schlimmstmöglichen. Und wenn das Bild dann fertig dasteht, ist die Wirklichkeit um einiges ärmer. Als ob ihr etwas entnommen werden müsste, damit ein erschütterndes Bild entsteht. Ist das nicht die Komplizenschaft, die am Ende, wenn wir die Farbigkeit der Ikonen, mehr als sie selbst, an uns vorüberziehen sehen, aufgekündigt ist? Die Maler kommen aus dem Kloster, aber einige gehen woanders hin, auch wenn sie selbst es noch nicht wissen. Eine Blindheit, die gefährlich werden kann, auch und gerade für sie selbst. Wer nicht von anderen aus Protest geblendet wird, blendet sich vielleicht selbst, wie Ödipus, weil er an der Ordnung gerüttelt hat. An die wir heute nostalgisch erinnert werden, weil wir gar nicht anders können, als diesen Film auch unterm Designaspekt zu sehen. Wie viele Bilder, die man ausschneiden könnte. Der christliche Leidenston fällt dann eh weg. Schneidetechnik des Zuschauers. Blut ist nur eine andere Farbe, die sich im Bach ausbreitet und verläuft. Frühe Emanzipation der Materie in die Dienstleistungswelt. Wie ein vom Rahmen abgespanntes Bild, das jetzt überall zu Hause sein könnte.

 

Und so funktioniert der beeindruckende Abspann des Films. Kein Maler, keine Kirche, kein Ort, nur noch diese süchtig machenden Farben, häufig schwarzrotgold, manchmal ein byzantinischer Christus in Flaubert’scher „impassibilité“, eine abstrakte Farblandschaft, die nach den Grausamkeiten in Schwarzweiß eine sublime Auferstehung feiert, eine bravouröse Zerstörung jedes Steins des Anstoßes, eine zerbrechliche Schicht einzig mit der Farbe als Auftrag. Das ist die Popversion der Nacktheit, die uns der Osten geschickt hat. Noch ohne jede Zurichtung. In der Mitte des Films schwimmt eine nackte Frau, verfolgt, aber zugleich befreit, durch einen Fluss, der Maler schaut ihr gebannt nach, er weiß, dass da gerade etwas Wichtiges passiert ist, aber noch ist unklar, wo sie ankommt. Aber sie schwimmt gut. Kommt also an. Und genau das ist am Ende passiert. Ein neues Ufer.

 

Dieter Wenk (03.02)

 

Andrej Tarkovskij, Andrej Rubljow, UdSSR 1964-66