8. Januar 2006

Erster nachhaltiger Auftritt

 

Ende der 1950er Jahre ging sie los, die „Nouvelle Vague“. doch wer gehörte zu ihr, wer waren ihre Vorläufer? Für Kritiker der Nouvelle Vague wie Bernard Chardère hatten Regisseure wie Vadim, Resnais, Marker nichts mit ihr zu tun. Andere Genealogen, wie Jean Curtelin, zählten Melville, Astruc und Vadim zu ihren Vorläufern. Vadim, so Curtelin, „schuf das ,neue Kino’ (…) er hat den autobiografischen Film eingeführt (…) er hat seinen tiefen Amoralismus aufgezwungen und der Sinnlichkeit und der Erotik jene moderne Ungezwungenheit gegeben, die man in den darauffolgenden Filmen wiederfinden wird.“ Man muss halt immer schauen, von welchen Filmen man spricht.

 

Was den Amoralismus angeht, so gilt dieser für den 1956 gedrehten Film „… und immer lockt das Weib“ nur bedingt. Er ist weniger tief als sozial, am Ende des Films, so will es scheinen, ist er gar ganz verschwunden. Der Wiedereintritt in die gerade höchst gefährdete Ehe – das war vermutlich die Konzession, die Vadim an das bürgerliche Kino machen musste, um nicht aus einem biografischen Sonderfall eines elternlos aufgewachsenen jungen und sehr attraktiven Mädchens ein Modell für die sexuell erwachsen werdende Frau zu schaffen. Das für die damalige Zeit gleichwohl Skandalöse ist ganz richtig die Ungezwungenheit, von der Curtelin sprach, mit der Brigitte Bardot, das Waisenkind Juliette dieses Films, hier aufgebaut wird. Allem voran der Aufbau der Brust. Diese Ungezwungenheit sieht zumal heute eher sehr inszeniert aus, den davon ausgehenden Lockungen geht dabei natürlich überhaupt nichts ab. Gleich die zweite Einstellung präsentiert die Bardot nackt, sie liegt faul in der Sonne, ein Hintern wie ein Halbmond, gezeichnet von der Ekliptik.

 

Das kann den mondänen, sehr reichen, leider schon etwas angegrauten Geschäftsmann Eric (Curd Jürgens) nicht kalt lassen. Der junge Antoine, Besitzer einer kleinen, wirtschaftlich unprofitablen Bootswerft, ist zwar gerade mit Juliette liiert, aber er scheint noch nicht recht zu wissen, was er an ihr hat und hält deshalb auch andernorts die Augen nach Mädchen auf. Dann kommt es ganz dick für Juliette. Da sie noch minderjährig ist, sich aber, nicht nur nach Meinung ihrer Zieheltern, wie ein Flittchen benimmt, soll sie wieder ins Heim zurück. Da gibt es nur eine Rettung für ihre Bleibe: Jemand muss sich opfern, sie zu heiraten, damit alle anderen etwas von ihr haben.

 

Der jüngere Bruder Antoines, Michel (Jean-Louis Trintignant), entschließt sich schnell, ebenso schnell willigt Juliette ein. Nicht die Hochzeit, wohl aber eine Schlägerei mit dem Dorfrüpel macht Michel in den Augen Juliettes zum Mann. Sie verliebt sich sogar in ihn. Natürlich kommt, was kommen muss, Antoine, der wieder aus Saint-Tropez zurückgekehrt ist, erhält vom Drehbuchautor Vadim eine dramaturgisch völlig unplausible Gelegenheit (es ist die Szene nach dem Bootsunglück, wo Antoine und Juliette nicht mit dem Auto zurückfahren, das eigentlich bereit steht, sondern lieber 3 Stunden zur nächsten Insel schwimmen), sich von Juliette verführen zu lassen. Der Skandal ist da, die Familie verzweifelt, Juliette vernichtet, sie irrt im Ort umher, betrinkt sich, gerät in eine Musikprobe schwarzer Musiker, die sie aufmöbeln, gar nicht zur Belustigung von Antoine und später Michel.

 

Eigentlich müsste hier Schluss sein, die Frau hat ihre Bestimmung gefunden, Tänzerin in Bars und Varietés, diese Vorstellung hat jeden überzeugt. Aber es endet wie gesagt anders, am Ende sieht man, wie Juliette Michel nach Hause begleitet, Eric und Antoine grübeln, ob es ihm gelingt, dieses Weib zu bändigen. Die Nouvelle Vague wird zwei Jahre später solche erzählerischen Klammern beseitigen, die Lockungen der Frau bleiben.

 

Dieter Wenk (01.06)

 

Roger Vadim, … und immer lockt das Weib (et Dieu créa la femme), F 1956, Brigitte Bardot, Curd Jürgens, Jean-Louis Trintignant