4. Januar 2006

Schlüssel zum Glück

 

Manchmal sind Kinder die besseren Erwachsenen. Umgekehrt sollten Erwachsene nicht immer den Spruch beherzigen, sie sollten erst wieder zu Kindern werden, um Seligkeit zu erreichen. Denn oft sind Kinder ja wirklich einfach nur kindisch. Sind Doktorspiele kindisch? Natürlich nicht, denn sie gehören zum Schönsten, was es gibt, in der Erinnerung. Das schließt ein, dass die Sache auch schnell kippen kann (nach dem Prinzip ‚Operation gelungen, Patient nicht erregt’) wie auch in diesem Film, wenn zum Beispiel einer der Entdecker ein bisschen zu forsch auftritt. Auch hier gilt: ein Glas Wein wirkt Wunder.

 

Natürlich ist das, was die Mutter des überforderten Jungen dem drängenden Mädchen ins Gewissen flüstert, völliger Unfug. Es geht nicht um eine angebliche Respektierung der Privatheit des Körpers. Das Gegenteil ist der Fall. Man will mit diesem Körper arbeiten, weil es Spaß macht. Deshalb verstehe ich auch den Jungen nicht. Seine Frage an das Mädchen: „Was willst du?“, war eine Frage zuviel. Einfach rausrennen aus dem Bad, das wär’s gewesen. Aber dann hätte man sich natürlich um die schöne Szene mit der Mutter gebracht. Szenen von der Selbstbefriedigungsfront sind dagegen mit leichterer Hand zu lösen. Hier heißt es einfach, wie der Film nachdrücklich vorführt, dass Erwachsene am besten die Klappe halten. Konkurrenzsituationen unter Heranwachsenden sind natürlich besonders bitter. Erste ganz harte Erfahrungen der eigenen Unzulänglichkeit. Dass da andere wesentlich souveräner mit dem anderen Geschlecht umgehen. Und seien sie auch noch so dumm und blöd.

 

Als Strategien der Bewältigung bieten sich an Warten (für den masochistischen Typ), Weitergehen (für Stolze und Realisten) oder „Wundern“ (für Ungeduldige, Kranke, Kriminelle, Virtuosen, Künstler). Hinsichtlich der dritten Kategorie kann man natürlich auch hier wieder an Alkohol denken, nur sollte es mehr sein als ein Glas, und man sollte unbedingt trinkfest, trinkfester jedenfalls als der Konkurrent, sein. In diesem Film werden, was ja auch nicht schlecht ist, Schlafmittel verwendet, nur gleitet leider das Kind, das begehrte, zusammen mit dem Wasser, dem gehassten, aus dem Bade. Aber, und hier komme ich wieder auf die Umkehrungsstrategie des Films, der Junge, der seinen Job zu gut gemacht, der das begehrte Mädchen in seinem Schoß liegen hat, lässt sich nicht gehen, zieht das Mädchen nur in Gedanken aus und verlässt pünktlich, wie versprochen, das Haus der Freundin, um noch die letzte  Bahn nach Hause zu erreichen.

 

Mittlerweile feiern die Eltern mit ein paar Freunden woanders ein Spiel der zweiten Unschuld nach der ersten ehelichen Depression mit dem Namen „Schlüsselspiel“, das so ähnlich geht wie Flaschendrehen, mit dem Unterschied, dass die Flaschen, weil sie nicht mehr in der Hauptsache Klein’sche Flasche spielen (wie Kinder und absolute Singles), sich etwas mehr als die Zunge zeigen dürfen. Die lustigen freizügigen 70er muss man sich natürlich anders vorstellen als in dieser doch ziemlich desillusionierenden und bei manchen Spielern durch private Probleme verzerrten Szenerie (denken Sie also eher an Catherine Millet oder an Philippe Sollers). Wie überhaupt: Der Film lässt einen sehr traurig zurück. Aber so waren sie, die 70er Jahre, wenn man’s recht überlegt, anders traurig als die düsteren 80er.

 

Dieter Wenk (01.02)

 

Ang Lee, Der Eissturm (The Ice Storm), USA 1997, Sigourney Weaver u.a.