31. Dezember 2005

…wer so nervös Zigarette raucht…

 

Wir betreten, nachdem Herr Hitchcock es mit zwei kleinen angeleinten Hündchen verlassen hat, gemeinsam mit der reichen Melanie Daniels ein Vogelgeschäft, in dessen erstem Stock, gewissermaßen dem Oberstübchen, sie sich nach ihrer Bestellung – ein paar Vögeln – erkundigt, die aber noch nicht da sind. In diesem Raum ist die Hölle los. Aber sie ist gebändigt, in Form von Käfigen. Das ist auch gleich ein Gesprächsthema zwischen Melanie und dem attraktiven Rechtsanwalt Mitch Brenner, der sie kennt, ihr in das Geschäft gefolgt ist und unter anderem ankündigt, dass er noch ein Hühnchen mit ihr zu rupfen habe. Das wird nicht weiter ausgebreitet, aber die schöne Miss Daniels hat irgendwie Dreck am Stecken.

 

Doch bevor er sich zu erkennen gibt, erkundigt er sich bei ihr, die er zum Schein für eine Verkäuferin hält – sie geht, ohne das zu wissen, auf das Spiel ein – nach Sperlingspapageien, die auch, wie wir später erfahren, Liebesvögel genannt werden. Diese Vögel werden nun kurzerhand, nachdem Mitch seine wahre Identität verraten hat und ein Wiedersehen im Gerichtssaal ankündigt, von Melanie gekauft. Und zwar für Mitchs kleine Schwester Kathy, die in Kürze Geburtstag hat. Die Vögel wird sie aber in Mitchs Anwaltsbüro nicht los, da er übers Wochenende – wie immer – aufs Land zu seiner Mutter und der Schwester gefahren ist. Auf also nach Bodega Bay, zwei Autostunden von San Francisco entfernt. In diesem idyllisch gelegenen Ort an einem See lebt der Anwalt in einer fabelhaften „ménage à trois“. Der erwartete Triangel Witwe-Sohn-Tochter sieht nämlich sehr aus nach älterer Frau mit jüngerem Mann und Tochter. Einen kleinen Vorgeschmack auf das, was kommen wird, gibt die hübsche, resignierte, aber nicht deprimierte Lehrerin Amy, die eine Freundin von Mitch war, das Verhältnis aber genau in dem Moment beendet wurde, als Mitchs Vater starb. Zwar reden die Lehrerin und Melanie über Mitchs sonderbaren Rückzug, aber einen Ödipuskomplex seitens der Mutter will Amy nicht gelten lassen.

 

Überzeugen tut die Argumentation freilich nicht. Hitchcock will es wirklich so platt. Und natürlich ist es Melanie als erste, die von einer Möwe, nachdem sie den See, die Grenze durchquert und überschritten hat, attackiert wird. Kleine Warnung. Das Begehren und das Genießenwollen ist also jetzt in Form zweier kleiner Liebesvögel in Mitchs Haus eingekehrt, nachdem Melanie sie dort in einem Bauer abgestellt hat. Aber dieses Geschenk, das natürlich mehr will, vernichtet ein Gleichgewicht. Es geht um nichts Weniger, als die Geschlechterfolge wieder einzurenken. Aber freigelassene und herumschwirrende Vögel sind sehr laut und anscheinend auch sehr bedrohlich. Daraus ergibt sich im weiteren „eine massive, bedrückende materielle Präsenz“, die Vögel, nach Zizek, sind „ein das Genießen verkörperndes Bild“. Im Gegenzug haben wir es mit einem „steinernen Bild der Mutter“ (Clemens Brentano) zu tun, das jenes in Aussicht gestellte Genießen verhindert.

 

Zwischen diesen beiden Bildern wird Melanie Daniels aufgerieben. Im Showdown zwischen Mutter und unmöglichem Genießen geht Melanie, wie am Anfang des Films, in den ersten Stock des ländlichen Hauses, um sich nach dem Ausgang des Kampfes zu erkundigen. Die Vögel sind wieder im Käfig, aber der Käfig ist ein ganzes Zimmer, in dem Melanie keinen Platz hat. Vor ihrer endgültigen Vernichtung kann Mitch sie gerade noch retten, und als Pflegefall, nachdem sie ja schon zum Fall ihres Geliebten geworden war, darf sie nun, gemeinsam mit den drei anderen, das Haus verlassen. Kompromissbildung nennt man das. Die Vögel lassen es, anders als in der literarischen Vorlage von Daphne du Maurier, gut sein.

 

Dieter Wenk (01.02)

 

Alfred Hitchcock, Die Vögel (The Birds), USA, Tippi Hedren, Rod Taylor, Suzanne Pleshette, nach Daphne du Maurier, Ton u.a. Bernard Herrmann