30. Dezember 2005

Abgetaucht

 

Dies ist ein sehr schöner kleiner Film über die Abwesenheit des US-amerikanischen Schriftstellers Thomas Pynchon, über dessen Person man vermutlich nicht viel mehr erfährt, als man ohnehin schon weiß. Die Filmer und die hier vorgestellten Informanten üben sich in spekulativer Enthaltsamkeit, ohne dass man als Zuschauer auch nur einmal bedauert, dass da in puncto Recherche doch „mehr“ drin gewesen wäre. Der Stil dieses Films hat mit dem Respekt zu tun, den er dem Autor zukommen lässt, bei dem man definitiv nicht zu Hause ist, auch wenn sich The Residents dezent im musikalischen Hintergrund tummeln.

 

Ein paar Bilder und Fakten zu Beginn. 1937 geboren auf Long Island, in den 50ern Studium der Physik und des Englischen an der Cornell University, zwei Jahre bei der Marine, arbeitete für Boeing, 1963 verlieren sich seine physiognomischen Spuren, seine Bücher fangen an, für ihn zu sprechen. Die Informanten setzen sich aus verschiedenen Webmasters, Schriftstellern und Kritikern zusammen, die alle völlig unprätentiös und „mystery“-resistent von dem erzählen, was sie speziell mit Pynchon verbindet. Vielleicht muss man die einzige Frau des Films davon ausnehmen, aber auch nicht wirklich. Auch ihre Überspanntheit wirkt letztlich nicht unangenehm, und wir freuen uns ein bisschen mit ihr, wenn sie in L.A. die Wohnung wiederentdeckt, die Pynchon während des Schreibens an „Gravity’s Rainbow“ bewohnte, auch wenn die Entdeckung nicht ganz der „historische Moment“ ist, den die damalige Freundin des Autors ausruft.

 

Hilfreich, wenn auch vielleicht nicht ganz neu, sind die Hintergrundinformationen und Dokumentaraufnahmen zu Drogenversuchsprogrammen der US-Regierung (die Acid-Katze), zur paranoiden Grundverfasstheit der amerikanischen Befindlichkeit in den 60er Jahren sowie zu kontinuierenden Karrieren ehemaliger NS-Forscher und -Wissenschaftler im Amerika des konkurrenziellen Kalten Kriegs. Vielleicht schlägt die zügig aufgebaute Konstellation der US-Nachkriegszeit deshalb so gut an, weil der Zuschauer sie nie direkt zurückbeziehen kann auf den Autor, der immer nur durch die Vermutungen und das Ansinnen seiner unfreiwilligen Gewährsleute, also immer nur über die Bande, in den Blick rückt. Und die Entscheidung für die Bande selbst? Fühlte sich Pynchon tatsächlich bedroht? Glaubte er, durch Schilderungen von Unterwelten ein wenig zu viel ausgeplaudert zu haben, um ungestraft davon zu kommen? Hatte er also Angst, war er feige, oder war es vielleicht nur seine Schüchternheit, deren Extrem ihn asozial werden ließ? Eine Frage der Unzumutbarkeit? Dass gewisse Dinge und körperliche Eigenheiten besser im Comic untergebracht sind? Bugs Bunny?! Die Lachnummer mit den Hasenzähnen?

 

Was ein bestimmter „einziger Zug“ aus Leuten machen kann, ist bekannt. Und doch werden hier keine Antworten gegeben. Am Ende des Films werden natürlich doch die Strategien zumindest erwähnt, die den Einsiedler aus seinem Versteck hervorlocken könnten. Da ist die Preisvergabe (national book award), die den Autor zum Tausch verpflichtet. Aber natürlich klappte das nicht, die Sache blieb einseitig, und den Preis nahm ein Spaßvogel entgegen, dessen abstruse und witzige Dankesrede alleine schon den Besuch des Films lohnt. Dann gibt es „Thomas-Pynchon-look-alike-contests“. Hat eine solche Veranstaltung nicht das Zeug, auch die scheueste Krähe anzulocken, weil auch sie gelegentlich wissen möchte, welches Bild die anderen von einem haben? Und war er nicht tatsächlich da, so wird dem Zuschauer erzählt, der Typ mit der Sonnenbrille, der in dem Moment fluchtartig den Raum verließ, als sich die Blicke auf ihn zu richten begannen. Oder zum Schluss die Methode à la Paranoia. Aber Thomas Pynchon ist nicht Lady Di. Die Sache hat einen Maulkorb.

 

Ganz am Ende des Films gibt es eine Sequenz als Endlosschleife. Ein Mann, am Rande des Bilds, der auf uns zukommt und dessen Mund sich zu einem großen O verformt. Das sieht aus wie ein  schwarzes Loch, aber auch wie eine Wunde. Oder hat er gerade angehoben, ein Lied zu singen – „No, I must lie alone“ – vorausgesetzt, wir haben es überhaupt mit „unserem“ Mann zu tun?

 

Dieter Wenk (01.02)

 

Fosco und Donatello Dubini, Thomas Pynchon. A Journey into the Mind of Thomas P., D 2001