28. Dezember 2005

Autoritäten

 

Die Frage nach dem Autor, die innerhalb eines literarischen Werkes – wie ernsthaft oder nebensächlich auch immer – aufgeworfen wird, sei’s vom Erzähler etc., sei’s von den „dramatis personae“, scheint nie ganz abtrennbar von dem, welches Autorenverständnis der Verfasser selbst hat oder welches man ihm nach Lektüre des Buchs oder Sehen des Stücks unterstellen könnte oder sollte. Oder darf man die Frage nach dem Autor des Autors gar nicht stellen? In diesem Lustspiel aus dem Jahre 1923, das 1912 spielt, gibt es einen Mann namens Jaromir, verheirat, Vater zweier Kinder, Sohn einer Baronin, der an seinem zweiten Roman schreibt, nachdem sein erster „ein gewisses Aufsehen gemacht“ hat. Vor seiner Mutter, die dieses Geschäft nicht ganz Ernst nimmt, weil es in Bezug auf ihren Sohn auf bloßem Amüsement beruhe, rechtfertigt er den in Frage stehenden Status so: „Für die Welt bin ich ein Autor, der meines ersten Buches.“ Das ist ein bisschen großspurig und auch ein bisschen leer. Für die Baronin ergibt sich folgende Unterscheidung: „Das Kriterium sehe ich darin (...), dass die Berufsschriftsteller etwas erfinden, während du, der du keiner bist, und auch keiner zu sein verpflichtet bist, dich in deinem so genannten Roman damit begnügt hast, dich selber und deine eigenen Gefühle und Ansichten zu Papier zu bringen, auf Draht gezogen mit Hilfe einiger Vorfälle aus deiner eigenen Erfahrung (...).“

 

Wir haben es ja schon immer geahnt: Realistische Autoren sind einfallslose Pinsel, ihrer näheren und weiteren Umgebung gnadenlos ausgeliefert, und als Personen eitle Gecken. Und wer ihnen hinter die Karten schaut, nüchtern, weil ohne Lust, an der Frivolität des literarischen Machwerks zu partizipieren, wird vom Autor in seine Schranken verwiesen, indem jede weitere Diskussion darüber abgebrochen wird. Jaromir also hat zwei Freundinnen auf den Gutshof seiner Mutter eingeladen, um auch den zweiten Roman im Stil des ersten zu verfassen. Seine Mutter würde ihm das durchgehen lassen – ich meine die Einladung – ganz zu schweigen von der herzensguten Gattin, die aber ihren Mann und den Zuschauer/Leser am Ende des Stücks eines anderen belehrt – Stichwort Eifersucht. Nicht aber lässt dies durchgehen der Diener Theodor, genannt Franz, der aufgrund dieses skandalösen Verhaltens seinen Dienst bei der Baronin kündigt. Dieses ein wenig unausstehliche, tyrannische Faktotum stellt seiner Herrin ein Ultimatum. Entweder die Machenschaften des Herrn Sohns hören auf und die beiden geladenen Damen reisen spornstreichs wieder ab, oder er verlässt das Haus.

 

Es kommt, wie es kommen muss: Theodor übernimmt „wieder die Aufsicht über das Ganze“, und ohne größeren Aufwand an Intrigen ziehen die Damen noch am selben Tag Leine, natürlich, so will es das Lustspiel, im besten Einvernehmen aller Beteiligten. So weit, so gut die Hofmannsthalsche Strategie, wie man Männern die eigene Frau empfiehlt. Wie ist es aber jetzt mit dem Autor dieses Lustspiels selbst bestellt? Auf welche Seite gehört er? Beschmutzt er sein eigenes Nest, so wie Jaromir, oder greift er in den unverbindlichen Himmel der literarischen Erfindung? Ummäntelt er in literarischer Form gerade noch eigenste Erfahrungen, die, nach der Baronin, eigentlich niemanden interessieren, oder hat er sich professionell etwas ausgedacht, was es so in der so genannten Wirklichkeit nicht gibt, wo man sich aber gleich die Frage stellen muss, für wen dieser ganze ethische Aufwand betrieben wird. Takt, Schicklichkeit, Bestimmung – alles bloße Erfindungen?

 

Natürlich ist weder das eine noch das andere der Fall. Wir haben es hier und im weiteren Feld des Schreibens mit etwas zu tun, was in der bildenden Kunst unter dem Namen „Anamorphose“ bekannt ist. Eine Verzerrung, die erst unter einem bestimmten Blickwinkel ihr wahres, vielleicht schreckliches Gesicht, zeigt. Die Wahrheit spricht auch in diesem Stück mal wieder eine Frau, Anna, Jaromirs Gattin, aus. Als ihr die ganze Konstellation, die ja wirklich ganz und gar unmöglich ist, eben verzerrt, klar wird, graut ihr vor ihrem Mann, er sei „wie ein in Fetzen gerissenes unheimliches Bild von [sich]“, und erst ein klärendes Wort von ihm rückt das Bild wieder zurecht, und das störende Element, das für kurze Zeit seine furchtbare, aber eben auch wahre Grimasse gezeigt hat, kehrt wieder in die Ausgangsstellung zurück – so lange jedenfalls, bis die Türen geschlossen bleiben und keine neue Lust am Text sich bemerkbar macht. Wir empfehlen, mit Theodor, „Die Witwe“.

 

Dieter Wenk (01.02)

 

Hugo von Hofmannsthal, Der Unbestechliche, in: H. v. H., Der Schwierige. Der Unbestechliche, Zwei Lustspiele, Frankfurt am Main 1981 (Fischer)