13. Dezember 2005

Offene Fragen beißen nicht

 

Wer ist eigentlich Elisabeth Blochmann? Wir lesen zwar, dass Heidegger sie 1919 „Fräulein Lisi“ nennt und sehen eine Portraitaufnahme von ihr auf Seite 63, aber wie sie in Martin Heideggers Leben eingetreten ist und welche Rolle sie spielte, erfahren wir nicht. Und doch heißt es immer wieder: „… von denen er [Heidegger] Elisabeth Blochmann begeistert berichtete.“, oder: „… was er am 19. Januar in einem Brief an Blochmann…“. Auf eine andere Art schwach beleuchtet ist Martin Heideggers Geliebte Hannah Arendt. Es wird aber auch leider überhaupt nicht geklatscht auf diesen 140 Seiten. Hannah Arendt ist hier nicht viel mehr als die Postbotin der „Angst“, ein Affekt, mit dem Heidegger erst durch seine Geliebte bekannt geworden sei (um 1925); nicht auszudenken, wenn die beiden sich nicht getroffen hätten, „Sein und Zeit“ hätte so nicht erscheinen können. Ohne Angst keine existentiale Thanatologie, keine Philosophie der Zeitlichkeit, vielleicht auch keine Verbräunung seiner Gedankenwelt. Ist es eine Entschuldigung, dass Heidegger nicht der einzige war, der Ideal und Wirklichkeit verwechselte?

 

Manfred Geier ist weise genug, die Frage der möglichen braunen Inhärenz von Heideggers Philosophie nicht in dieser schmalen Monografie beantworten zu wollen. Heidegger blieb zwar bis zum bitteren Ende Mitglied der NSDAP (Eintritt wie bei so vielen der 1.5.33), aber es gibt Hinweise, dass er nach einer Phase der Verblendung (1933-34) recht bald einsah, dass er sich einer fürchterlichen Verwechslung schuldig gemacht hatte. Die für das Sommersemester 1934 angekündigte Freiburger Vorlesung „Der Staat und die Wissenschaft“ etwa, die das Auditorium zum Bersten brachte und in dem die Farbe braun überwog, hielt Heidegger nicht, das enttäuschte Publikum musste mit Ausführungen zu „Logik als die Frage nach dem Wesen der Sprache“ vorlieb nehmen.

 

Gleichwohl musste es viele dortige Professoren und Dozenten irritiert haben, dass sich Heidegger so flink zum philosophischen Zeremonienmeister eines nationalrevolutionären Aufbruchswahns hatte machen können. Regression in eine zusammenfantasierte Griechentümelei als archaische und musterbildende Form einer wiederaufzunehmenden „Besinnung“ auf den eigentlichen Anfang von Philosophie? Und damit einer Unterstellung alles Humanen unter die Vorschrift des Seins/Seyns? Ist dieses Denken wirklich so groß, dass es sich erlauben kann, wie eingefordert, dass es auch groß scheitern darf? Oder hat man es nicht eher mit der megalomanen solipsistischen Ek-stase einer auf anderen, etwa politischen, Gebieten ebenfalls sich zeigenden unerhörten Selbstüberschätzung zu tun?

 

Es geht dabei ja nicht bloß mal um eine gelegentliche Widerlegung zum Beispiel des Positivismus. Es ist ja diese große Denk-Anlage, die zumindest den heutigen Leser Heideggers ratlos machen kann. Also nicht nur die (periphere?) politische Selbstdemontage, sondern die schwer verdauliche dichterisch-denkerische Zusammenfaltelung von Einst und Jetzt, Griechentum und Deutschtum, Fundamentalkritik und froher Botschaft, die sich doch immer wieder entzieht, weil dies ihr inhärent ist oder weil die Masse eben keine Ohren hat, das Seyn sein zu lassen. Eingepfercht ins „Gestell“ verpasst „man“ die Position im „Geviert“. Das Schönste, das man von Martin Heidegger sagen kann, ist vielleicht, dass er kein Philosophieprofessor war. Dafür hat er aber auch tüchtig auf Rosinante geritten.

 

Dieter Wenk (11.05)

 

Manfred Geier, Martin Heidegger, Reinbek bei Hamburg 2005 (Rowohlt)

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

amazon