3. Dezember 2005

Müde Photoshopgespenster

 

Alles, was man auf den Bildern von Eberhard Havekost sehen kann, kennt man. Fließende Kleider, schnelle Fahrzeuge, glücklicher Urlaub, sagenhafter Erfolg. Man kennt das aus der Werbung.

 

Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt bis zum 19.2.2006 Arbeiten und Serien des 1967 in Dresden geborenen Malers Eberhard Havekost.

 

Eine Haut wie Seide quakt das Webefernsehen und zeigt ein paar vorbeiflitzende Arme, Beine, Brüste dazu. Man kann nichts genau beobachten, da es viel zu schnell geht. Zeit ist schließlich Geld, und auch die Kosmetikindustrie schaut auf die Sendezeit. Havekost hingegen hat alle Zeit der Welt. Seine Bilder sind nicht an saisonale Produktbereitschaft gebunden, wie z.B. Arbeiten von Modedesignern, die nur selten im Spätherbst große Bikiniwerbekampagnen starten. Havekosts Malereien stehen still und kommen nicht aus der Mode, weil sie im Museum hängen.

 

Die Ausstellung trägt den Titel „Harmonie“ und führt den Betrachter direkt zu den Täuschungen und Fallgruben der Werbefotografie. Junge Frauen mit makelloser Haut, Lifestyle und unterkühlter Zeitgeist herrschen über die Bilder Havekosts. Es sind Oberflächen, die Havekost beschäftigen. Es sind die Werbeoberflächen, die uns süchtig machen, durch ihr harmonisch durchgestyltes Wesen. Personen tauchen nur als Protagonisten einer Szene auf, nicht als Persönlichkeiten. Nichts ist dem Zufall überlassen. Havekost malt nach fotografischen, am Computer bearbeiteten Vorlagen aus dieser Phantomwelt. Er verzerrt die Motive und manipuliert an den Farbskalen, aber er löst sich nicht von der Werbeästhetik.

 

Wir messen die Welt mittlerweile mit der Ähnlichkeit, die sie zu den Bildern hat, nicht andersherum. Bei einem besonders prächtigen Sonnenuntergang sagt man: Sieht aus wie fotografiert. Der Verlust der Welt wird mit der Intensität der Bilder von der Welt kompensiert. Das heißt, es gibt Bilder von Sonnenuntergängen, die besser sind als jeder echte Sonnenuntergang. Wir verehren im Bild, egal ob es im würdigen Museum oder in bunten Zeitschriften gezeigt wird, alles, was wir in der Realität vermissen.

 

Es herrscht ein Kult des freien Blicks, der so genannten Informationsfreiheit, die zu einem Symbol für persönliche Freiheit wird.

 

Der Konsument genießt Bilder, besonders die der Webung, als kostenlose Ware. Die besten Regisseure und Kameraleute arbeiten für die Werbeindustrie, es sind große Teams, die zuständig sind für die Produktion von Tatbeständen, die es nur als Bild gibt. Es sind Phantome. Bildsucht – Ikonomanie, nannte der Philosoph Günther Anders bereits 1956 das Phänomen, dem auch Havekost hinterherspürt. Das „Objekt der Begierde“ ist ein Bild, nicht die Frau, die Modell für das Bild stand. Und das Original muss sich nach seiner Reproduktion richten. Was Google nicht findet, gibt es nicht. Damit ist der Unterschied zwischen Schein und Sein aufgehoben. Realitätsverlust ist das böse Wort dafür. Das Gefühl der Freiheit, die Inspiration des Nordens, der Duft der großen weiten Welt, der Genuss am Nachmittag nur schönfarbige Täuschungsmanöver.

 

Wir wissen längst, dass die Botschaften der Werbebilder leer sind, genießen aber die Fiktion, mit der sie brillieren. Special Effekts im Film sind längst wichtiger als der Plot.

 

Wir lieben es, uns täuschen zu lassen. Wir wollen gerne die Bilder für Realität nehmen. Das führte noch vor wenigen Jahren zu eigenartigen Effekten. So kämpften in den Anfängen des Fernsehrzeitalters die Mitarbeiter der Sendeanstalten besonders zur Weihnachtszeit mit Bergen handgestrickter Socken und Fäustlingen. Liebevolle Großmütter strickten emsig für die freundlichen Männer und Frauen, die ihnen jeden Tag so höflich guten Abend wünschten. Phantome wurden als reale Wesen missverstanden. Aber keiner, der heute durch die Havekost-Ausstellung läuft, wird auf die Idee kommen, den Phantomen auf den Bildern Socken zu stricken, obwohl sie es nötig hätten, sie sind hübsch, aber lassen einen kalt. Wir haben gelernt.

 

Der einzige Unterschied zwischen den Bildern Havekosts und den Bildern der Hochglanzmagazine besteht darin, dass sich der Kunstkauf immer an den ökonomischen Horizont einer möglichen Wertsteigerung des Bildes koppelt, während Lifestylebilder ein Konsumverhalten initiieren, das einer Ökonomie der Verschwendung huldigt.

 

Ironie der Wolfsburger Havekost Ausstellung ist die Schau im Obergeschoss. Dort sind die Kleider des türkisch-zypriotischen Modedesigners Hussein Chalayan (geb. 1970) präsentiert. Und da kommt also einer von der anderen Seite der Oberflächen und Schönheitsproduktion, der Mode, sozusagen aus dem Zentrum des Lifestyle. Gerade von der Seite, die die freie Kunst gerne als kommerziell und an Kundenwünsche angepasst abtut und oft nicht neben sich dulden mag. Dabei übersehen solche Kritiker geflissentlich die vielen, vielen Ausflüge der Künstler in das Terrain der Mode. Die Schau mit Entwürfen und Videos Chalayans ist wahrlich großartig verglichen mit den müden Photoshopgespenstern unten im Saal. Hier oben kann man sehen, wie eine an Oberflächen verschriebene Gesellschaft langsam in ihren Kleidern festwächst, durchsichtig lächelnd mit ihren Möbeln und Vehikeln eins wird und die Lüftungsklappen in den Kleidern aggressiv schnappend vor ihrem möglichen Versagen warnen. Chalayans symbolische Welt geht nicht im visuellen Tatbestand auf.

 

Genau diese semantische Dichte ist großen Teilen der zeitgenössischen figürlichen Malerei abhanden gekommen. Sie zeigt sich unbekümmert wie Bierwerbung in grünlichen Landschaften und ist unproblematisch, illustrativ und ziemlich hohl. Der Bildglaube ist, aufgrund seiner festen Verschränkung mit den Nachrichten- und Informationsorganen, so groß wie nie zuvor. Den Malern scheint die Situation recht behaglich zu sein. Sie sollten sich in Acht nehmen, man wird sie wegen Bedeutungslosigkeit bald achtlos überblättern, wie die nur mittelmäßige Werbung für Weichspüler.

 

Nora Sdun