23. November 2005

Gefühlspunk

 

Panzer. Musikpanzer. Masken gegen Mütter und ihre Stellvertreter. Unfreiwillige Komik von Anfang an. Manchmal wünschte man sich, dass Schriftsteller, Regisseure und andere erfinderische Menschen aus ihrer Haut schlüpfen könnten. Ein bisschen Temperamentwechsel. Diese Thematik hätte wohl das Zeug zum Komischen gehabt: Eine Frau, Erika Kohut, irgendwie alterslos, aber wohl um die 40, wohnt nicht nur noch bei ihrer Mutter, sondern schläft sogar im selben Zimmer mit ihr, ja, man soll es nicht glauben, im Ehebett. Dieser seltsame Ehemann als Wiedergänger eines Kleinkindes wird des Nachts, wenn’s mal unangekündigt später geworden ist, gewissermaßen mit dem Nudelholz von der Stiefmutter als Gattin empfangen.

 

Michael Haneke, das merkt man gleich, ist es leider todernst mit dieser Ausgangslage. Nicht erwachsen gewordene Frau, terrormäßig behütende Mutter. Dieser Kindergartenhorror überträgt sich auf alle Beziehungen, in denen Erika, die Klavierspielerin, steht. Schlichtes Input/Output-Prinzip. Wie du mir, so ich den anderen. Mediale Existenz, durch die der Hass fließt. Plötzlich trifft der Hass auf die Liebe. Die hat auch einen Namen, Walter Klemmer. Die Liebe liebt die Musik, Eishockey, Schwachstrom und eben Erika Kohut. Sie sagt ihr das auch. Aber der Hass stößt die Liebe zurück. Obwohl die Liebe fantastisch Klavier spielt und beim Hass sogar als Meisterschüler anfangen darf. Zwischendurch erfährt der Zuschauer, dass der Hass nicht rein ist. Schon die Mutterbeziehung ist klassischerweise eine der Hassliebe. Nach dem Gezänk die Versöhnung. Bis in alle Ewigkeit.

 

Insgesamt wird natürlich viel verdrängt. Vor allem Sexualität. Deshalb muss der unreine Hass in Pornoläden gehen, wo er sich unsaubere Taschentücher beim Glotzen vor die Nase hält. Beim Autokino wird anderen nicht ganz heimlich beim Ficken zugesehen und dabei kräftig uriniert, denn irgendwo muss es ja abgehen. Auf der Damentoilette bekennt der schöne Walter seine Liebe. Der Hass aber zieht ihn auf und lässt ihn nicht kommen. So was tut richtig weh. Fortsetzung der Klavierstunde mit anderen Mitteln. Die Spielregeln will ausschließlich der Hass diktieren. Hass. Sade. Aber das sehr traurig, ohne Lust, klar, dass Walter da nicht mitspielen will. Das Drehbuch der Klavierspielerin ist ein in der Puppenstube hingemachter Haufen Scheiße.

 

Dann will Sade à l’envers die missglückte Verführung wiedergutmachen, aber ein Oralverkehr nach dem Eishockeytraining bringt ganz andere Ergüsse. Die Liebe wird dann zum Psychiater. Nimmt probeweise das Drehbuch ernst. Zuhause, im Beisein des Mutterdrachens, setzt es Schläge. Vielleicht hilft ein etwas aggressiver Sex? Nein? Keine Reaktion beim Haufen Elend. Beim Überwrack. Beim Monster. Bei ihrer letzten Handlung, die man sieht, anlässlich eines Konzerts, zeigt die Klavierspielerin zum ersten Mal etwas Gesicht, das man sonst bei den zahlreichen Nahaufnahmen sich hinzudenken muss. Erika hat ein Messer dabei, das sie vielleicht Walter in dem Leib rammen will, aber dazu kommt es nicht. Eigentlich sollte sie für eine ihrer Schülerinnen einspringen, die sie selbst, aus hehren ästhetischen, vor allem aber aus Walter-Bestrafungs-Gründen, durch Glasscherben an der Hand verletzt hatte. Kurz vor Konzertbeginn steht Erika Kohut allein im Foyer, zückt das Messer und sticht sich damit in die Schulter. Man sieht eine Fratze. Die Fratze verlässt das Gebäude. Man wartet auf quietschende Reifen. Aber nichts passiert. Ein paar Taxen fahren vorbei. Dann ist der Film aus. Sehr lustiges Marionettentheater.

 

Dieter Wenk (10.01)

 

Michael Haneke, Die Klavierspielerin, F/A 2001 (nach Elfriede Jelinek, „Die Klavierspielerin“), Isabelle Huppert