Glanz und Elend des Comics

Eine Agentengeschichte? Und wie. Würde Hitchcock noch leben und nach „Notorious“ noch einmal den Stoff für einen aufwändigen Thriller in der Nazizeit suchen, hier würde er fündig.

 

23. November 2005

Manche Menschen kommen als Comicfiguren zur Welt. Das gilt zumeist für all jene, die entweder mit ihrem Leben vorgefertigte Rollen und bekannte Klischees bis aufs I-Tüpfelchen erfüllen, Beamten z.B., Soldaten, Polizisten usw.; oder für solche, die nachträglich legendär werden und deren Imitatoren nur einen Satz oder eine Geste nachzuahmen brauchen. Und schon ist das Vorbild erkannt, Politiker z.B., allen voran Kohl, aber auch Pavarotti und Gottschalk. Hier kann man sich eine Übertragung ins Medium des Comics ohne Weiteres vorstellen: Comics kommen ursprünglich von Cartoons und Satiren und leben nun mal von der Übertreibung; vielleicht kommt daher auch ihr bis heute schlechter Ruf vor allem bei besorgten Eltern als „Schund“, vom ästhetischen „Wert“ sogar noch tiefer zu verorten als „Groschenromane“. Dass Comics so komplex sein können wie das anspruchsvollste Stück avantgardistischer Literatur, das wissen immer noch die Wenigsten.

 

Osamu Tezukas erster Band seiner „Adolf“-Pentalogie, „Mord in Berlin“, spiegelt diese Bandbreite des Genres – von platter Satire bis komplexer Parabel – nahezu beispielhaft. Denn ausgesprochen raffiniert konstruiert ist die verschachtelte Handlung und facettenreich das große Arsenal von Figuren: In Berlin, 1936, berichtet der japanische Journalist Sohei Toge über die Olympischen Spiele. Als sein Bruder in der Stadt ermordet wird und die Leiche unter mysteriösen Umständen verschwindet, erinnert sich Sohei an einen ähnlichen Mordfall in seiner Heimat, der sich kurz vor seiner Abfahrt ereignete: Eine Geisha war damals in einem Waldstück aufgefunden worden; und wie Soheis Bruder hatte sie Gipsspuren unter den Fingern. Bei seinen Nachforschungen gerät Sohei derweil zwischen die Fronten von alliierten und deutschen Geheimdiensten. Schnitt. Das japanische Kobe, ebenfalls 1936: Der Mörder der Geisha ist der Nazi Kaufmann und arbeitet im deutschen Konsulat der Stadt. Er ist auf der Suche nach einem Geheimdokument, das die angeblich jüdische Herkunft Hitlers beweisen soll.

 

Ein Spionagethriller also? Eine Agentengeschichte? Und wie. Da gibt es einsame Landhäuser mit endlosen Gängen, die Verabreichung eines Wahrheitsserums, Verfolgungsjagden und eine schöne Frau, die aus dem Fenster stürzt. Würde Hitchcock noch leben und nach „Notorious“ noch einmal den Stoff für einen aufwändigen Thriller in der Nazizeit suchen, hier würde er fündig.

 

Das ist aber nur die eine Seite von „Adolf“. Denn zu einem nicht unerheblichen Teil wird die Handlung von der Geschichte einer Freundschaft ausgemacht, die nicht ungleicher sein könnte: Kaufmanns Sohn, Adolf, der künftige Hitlerjunge, dem aber die Ideologie des Vaters zutiefst zuwider ist, freundet sich mit einem jüdischen Jungen an, der ebenfalls Adolf heißt und dessen Vater wiederum im Besitz des fraglichen Geheimdokumentes ist. Eben in diesem Seitenplot offenbart sich der Anspruch des Buches, mehr zu sein als eine lediglich spannende Geschichte, wie auch die seitenlangen Chroniken mit Ereignissen des Jahres 1936 zeigen: „Adolf“ möchte die Geschichte der Nazi-Herrschaft und ihrer Ideologie nachzeichnen, sie durch die angeblich jüdische Herkunft Hitlers ad absurdum führen und am Ende das Ganze mit einer humanistischen Botschaft der Toleranz verbinden.Wenn man auch über die Stereotypen der Spionagehandlung hinwegliest und am Ende des ersten Teils des Buches eine etwas fragwürdige Szene schnell wieder vergessen (oder besser: verdrängt) hat, in der der ansonsten so vernünftige Sohei eine Frau auf sadistische Weise quält – hier, beim Versuch, komplexere Sachverhalte umzusetzen, scheitert das Buch. Die Nazis, allen voran Hitler am Reichsparteitag in Nürnberg, die Nazi-Spione oder der Vater des kleinen Adolfs, Kaufmann, sind Karikaturen ohne Tiefe, hart, einseitig böse und in dieser Überzeichnung lächerlich; die Beziehung zwischen dem Deutschen Kaufmann und seiner japanischen Frau entspricht dem Klischee: Er, der brutale Schrank, sie, gehorsam und still; die enge Freundschaft der beiden Jungen schließlich, aus der sich der Widerstand des Sohnes gegen seinen Vater und dessen Ideologie motiviert, wird nie näher erklärt.

 

Keine Frage: Osamu Tezuka, in Japan als „Gott der Manga“ verehrt und Erfinder der auch hier bekannten Ikone „Astro-Boy“, legte 1983 mit seinen „Adolf“-Comics einen immer noch erstaunlich komplexen und spannenden historischen Thriller vor. Am Ende aber scheitert zumindest der vorliegende erste Band an seinem eigenen Anspruch, die Nazi-Ideologie zu dekonstruieren und eine universelle humanistische Botschaft dagegenzusetzen. Glanz und Elend des Comics – in „Adolf“ zeigen sie sich auf zwiespältige Weise.

 

Von Thomas von Steinaecker

 

Osamu Tezuka: Adolf – Mord in Berlin. Band 1. Carlsen Verlag 2005

 

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