13. November 2005

Kriegsspiel(zeug)

 

Der Autor des „kleinen Prinzen“ war auch Flieger im II. Weltkrieg. Von einer seiner Missionen kam er nicht mehr zurück. Der „Kriegspilot“, ein autobiografischer Bericht, ist eine bittere, aber nicht verzweifelte Abrechnung mit dem, was man in Frankreich „drôle de guerre“ nennt, die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und Frankreich während des II. Weltkriegs, die zwar auf französischer Seite immerhin mindestens 100.000 Todesopfer gefordert haben, verglichen mit den katastrophalen Stellungskriegen des I. Weltkriegs aber gewissermaßen glimpflich abliefen. Frankreich, so der Autor, habe Krieg simuliert, da es von Anfang an keine Chance gegen den übermächtigen Gegner gehabt habe.

 

Um der Form zu genügen, habe es Opfer gebracht, Soldaten in den Tod geschickt, Zivilisten feindlichen Attacken ausgesetzt, also eine Maschinerie in Gang gesetzt, die man lieber gleich gar nicht hätte anwerfen dürfen. Auf einem seiner Flüge macht sich der Autor als Flieger und Erzähler Gedanken über den unsinnigen Einsatz, zu dem er von seinem Stab verpflichtet wird. Immer wieder kommt er auf das unredliche Rollenspiel zurück, in das auch er mit seinem taktisch völlig sinnlosen Flug einbezogen ist. Wo es Tote gab, hat man auch gekämpft, und wo es Kampf gab, da starben auch Helden. Das etwa ist die Logik des „komischen Krieges“, die in ihrer Als-ob-Haltung so tut, der Pflicht der Kriegsführung nachzukommen, wo sie doch besser daran getan hätte, gar nicht erst auf Sparflamme zu fahren. Die Verlockung einer Politik der verbrannten Erde kannten auch die Franzosen. Doch auch hier wirft Saint-Ex den Verantwortlichen vor, eine solche Vorgehensweise einem dümmlichen Spiel mit Zeichen zu unterziehen, das es noch nicht einmal dahin gebracht habe, das Verhältnis von Einsatz und Bedeutung in Betracht gezogen zu haben.

 

So heißt es etwa in einer Passage: „Die Wichtigkeit, ein Dorf zu verbrennen, muss der Wichtigkeit des Dorfs entsprechen. Nun ist aber die Rolle eines verbrannten Dorfs nichts anderes als die Karikatur dieser Rolle.“ Nur noch grotesk kann man also eine Haltung nennen, die leerlaufende kriegerische Handlungen produziert, und sich damit auch noch ins eigene Fleisch schneidet. Dagegen müsste man vor diesem Hintergrund die jüngsten Terroraktionen genial nennen, könnte man dieses Wort in diesem Zusammenhang verwenden. Fast will es scheinen, dass der getroffene Koloss, der sicherlich nicht gewillt ist, auch noch seine wie auch immer beschaffene andere Backe hinzuhalten, nach seiner vielleicht etwas vorschnellen aber doch sehr verständlichen Rede von Krieg in einen Aktionismus verfallen könnte, der aufgrund der (noch) fehlenden Sichtbarkeit des Gegners ebenfalls nichts anderes als eine – allerdings dann wohl gigantische – Simulation ins Werk setzen würde, die der Form des Tausches entspräche, aber völlig die Verhältnismäßigkeit der Mittel aus den Augen verloren hätte.

 

Aber genau hier fangen die Schwierigkeiten an: Angesichts der Tausende von Opfern, die die Attacke auf die westlichen Symbole von Geld und Stärke in Form des World Trade Center und des Pentagon nach sich gezogen hat: Wie könnte ein symbolischer Vergeltungsschlag des Westens aussehen, dessen schwelender Stempel nicht nur nach Rache röche, sondern dem der Gegner, wer das auch immer sei, und vielleicht auch die Weltöffentlichkeit, die Spur eines Wahreren und Gerechteren entnehmen könnte. Der Druck zu handeln könnte aus dem amerikanischen Gegenschlag etwas sehr Unkomisches machen.

 

Dieter Wenk (09.01)

 

Antoine de Saint-Exupéry, Flug nach Arras, Berlin – Darmstadt 1953 (Deutsche Buchgemeinschaft) ; Pilote de guerre (Paris 1942)