11. November 2005

Magic Afternoon

 

Jede Kommunikation ist ein mehr oder weniger elaborierter Gemeinplatz. Raymond Queneau hat das beispielhaft in seinen „Stilübungen“ durchexerziert. Der Autor, und mit ihm die Sprache, als Situationsmoderator. Der Leser kann sich mit diesem kleinen Buch die verschiedensten Konfigurationen einer lapidaren Szene in einem Omnibus zufächern. Das ist sehr lustig. Gar nicht lustig ist es dagegen, wenn Leute überhaupt nichts mehr an ihrer Sprache zu feilen haben und diese gewissermaßen selbst in ihrer Gemeinplätzigkeit aus den tumben Mündern ihrer Sprecher herausfällt. Der Korsett- und Matrizencharakter der Sprache kommt hier am reinsten zum Ausdruck, der Wechsel auf die Sprache reinster syntaktischer Gehorsam. Da gibt es keine Geheimnisse, nur falsche Aufhängungen. Oder die Aufhängung ist eben zu durchsichtig, das Muster scheint zu klar durch.

 

In solchen Momenten muss der Zuschauer oder Leser den Sprecher von seiner Sprache abschneiden und schauen, ob da noch was übrig bleibt. Meist blickt einen dann die Lüge routiniert an. Ödön von Horváth und Marieluise Fleißer, der „Katzelmacher“ gewidmet ist, haben in ihren Theaterstücken aus den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts vorgeführt, wie man solche Sprachblockfiguren anschneidet. Im heiligen Ernst des dialektalen Sprechens inszenieren die Autoren ein umgekehrtes Pfingsten, wo die Figuren die gleiche Sprache sprechen, aber keiner den anderen versteht. Und das muss auch so sein, denn die Sprache funktioniert hier nur als frei schwebendes Signifikanten-Rinnsal, das den Dreck des Kleinbürgerstandards abführt. Und hinter dem Dreck liegt die Angst vor dem, was es sonst vielleicht auch noch geben könnte. Der Kleinbürger ist der Gesellschafter der zu frühen Schließung. Das heißt, er kann immer nur sich selbst Gesellschaft leisten.

 

Bitter ist es allerdings, wenn man plötzlich bemerkt, wie sehr die Repräsentation des „Katzelmacher“ auf das Modell bezogen ist, das die Kreisförmigkeit des Sprechens so gnadenlos auf die Bühne stellt: zum Beispiel eben „Pioniere in Ingolstadt“ von Marielusie Fleißer. Hier rutscht die Satire auf ihrem eigenen Parkett aus, das sie mit ihren Entlarvungen blank putzen wollte. Und unfreiwillig komisch mutet Fassbinders Film gerade deshalb an, weil die Probleme, die er schon in seinem Titel benennt, also Ausländerhass und Sexualneid, von den offen zur Schau gestellten Gänsefüßchen des literarischen Bezugs wenn nicht zum Verschwinden so doch zum einstweiligen Erliegen gebracht werden. Und während wir in der Zwischenzeit über unsere eigenen Liegenschaften im Verhältnis zur Sprache nachdenken können, merken wir vielleicht, dass auch uns jemand betrachtet, der von unbemerkten Verwandtschaftsverhältnissen zu erzählen wüsste. Das inzestuöse Herumreiten auf der Muttersprache. Klar, dass es da kein Entkommen gibt.

 

Dieter Wenk (09.01)

 

Rainer Werner Fassbinder, Katzelmacher, D 1969, R.W.F., Hanna Schygulla, Irm Hermann, Harry Baer