25. Oktober 2005

Es geht schon besser

Preisträger

 

Paris hat den Eiffelturm und den Prix Goncourt, London hat die Towerbridge und den Man Booker Prize, und Frankfurt? Deutschland hat zwar die größte Buchmesse der Welt und rund 5000 Literaturauszeichnungen, aber keinen Literaturpreis, dem die ganze Nation entgegenfiebert – bis jetzt.

 

Der deutsche Buchpreis, wurde gestern Abend erstmals vergeben. Er soll genau das werden, was in England und Frankreich alljährlich funktioniert. Eine ehrwürdige Jury entscheidet über einen hochdotierten Buchpreis und alle wissen davon und kaufen das Buch.

 

Von dieser Aufmerksamkeit für Literatur träumt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der mit dem neuen Preis an die Wirkmacht des englischen Man Booker Prize und dem französischen Prix Goncourt aufschließen will. Es geht um die Belebung des Deutschen Buchmarkts und um internationales Renommee. „Wenn der Börsenverein dazu beitragen will, dass in zehn Jahren noch ein deutsches Buch im Ausland übersetzt wird, dann muss er sich diesen Preis leisten“, sagt Gottfried Honnefelder, Vorstand des Börsenvereins und Vorsitzender der Akademie Deutscher Buchpreis. Bevor man aber Auslandlizenzen verkaufen kann, ist so ein Preis erstmal sehr teuer. Aber da ist er: Er heißt „Deutscher Buchpreis“ und ist mit 37 500 € dotiert. Die siebenköpfige Jury aus Literaturkritikern, Autoren, Buchhändlern und Journalisten entscheidet über den besten deutschsprachigen Roman des Jahres. Der Sieger erhält 25 000 €, die anderen fünf Finalisten 2500 €.

 

In Frankfurt wurde im Vorfeld alles richtig gemacht. Der Anspruch größtmöglicher Unabhängigkeit und Transparenz bei der Preisvergabe wurde eingelöst. Die Dramaturgie der Entscheidung, erst eine Longlist mit 20 möglichen Preisträgern, dann eine Shortlist mit den sechs Büchern der engeren Wahl bekannt zu geben, schürte über zwei Monate das Interesse in den Zeitungsredaktionen. Die Preisverleihung fand gestern Abend zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse im Kaisersaal des Römer statt, gediegen und so schlicht wie möglich. Der Preisträger erhielt eine Urkunde ohne großes Tamtam. Sechs Trailer vom SWR zu den Autoren und ihren Büchern und die Moderation von Gert Scobel rundeten den Abend ab. Keine TV-Show, kein Fernsehballett, kein Butt.

 

So sehr ein Preis anfangs in den Himmel gelobt wird, leicht sinkt ein Preis auch wieder in der Gunst des Publikums. Der ebenfalls vom Börsenverein initiierte „Deutsche Bücherpreis“, der drei Jahre lang in Leipzig vergeben wurde, kam in der Branche schlecht an. Undurchschaubare Vorauswahlen und Pannen während der vom MDR produzierten TV-Gala machten die ganze Veranstaltung lächerlich. Der Preis wurde nie richtig ernst genommen.

 

Die Leipziger haben deshalb seit diesem Frühjahr einen neuen Preis am Start. Jetzt gibt es also zwei neue Literaturpreise, den „Preis der Leipziger Buchmesse“ und den „Deutschen Buchpreis“ in Frankfurt. Beide Veranstalter bemühen sich, aus den Fehlern der Vorjahre zu lernen.

 

Kaum ein Literaturpreis wurde bereits im Vorfeld wohlwollender empfangen als der nagelneue Deutsche Buchpreis. „Die Stifterseite ist sehr zufrieden darüber, wie der Buchpreis aufgenommen wurde“, bestätigt Börsenvereins-Sprecherin Anja von Hingst. Die Diskussion darum, wer den Buchpreis bekommt, hätte das literarische Leben belebt, ist sie sich sicher.

 

Die Verlage begrüßen die Aktion. Gerade für kleine und mittlere Verlage wie Blumenbar, Aufbau oder Frankfurter Verlagsanstalt ist der Buchpreis eine kostenlose Werbekampagne. Alle 20 Bücher der Longlist wurden von der Presse angefordert. Beim Aufbau Verlag hat das schon Effekte erzielt. Von Thomas Lehrs Roman „42“ wurde bereits die zweite 5000er Auflage nachgedruckt.

 

Die garantierten Auflagen von über 100 000 Stück, wie sie die ausländischen Preise bewirken, sind in Frankfurt aber sicherlich nicht zu erwarten. Die Lizenzabteilung von Suhrkamp bringt der neue Preis noch nicht auf Hochtouren. „Der Buchpreis wird im Ausland noch überhaupt nicht wahrgenommen“, sagen sie und haben Recht. Erst die nächsten Jahre werden über den Ruf des Preises und seine Auswirkungen auf die Buchbranche entscheiden. „Wir alle hoffen, dass es gelingt, diesen Romanpreis als Verlockung für Autoren und als Anreiz für das Publikum zu etablieren. In weniger als fünf Jahren müsste es gelingen, dass die Interessierten diesem Preis regelrecht entgegenfiebern“, so Jury-Mitglied Volker Hage, Literaturchef des Spiegel.

 

Heutzutage reicht es nicht, große Summen Geldes auszuloben, um ein respektables Medienecho zu erzeugen. Für die Vermittlung des neuen Preises in der Öffentlichkeit hat der Börsenverein des deutschen Buchhandels deshalb alle Register gezogen. Der Handel wurde frühzeitig mit einbezogen. Informationen, Plakate, Tischaufsteller wurden den Händlern zur Verfügung gestellt. Das Goethe-Institut wurde als Partner gefunden, seine Präsidentin Jutta Limbach ist seit September diesen Jahres Mitglied der Akademie Deutscher Buchpreis, die jährlich die Jury wählt. Clemens Peter Haase vom Referat Literatur des Goetheinstituts erklärt: „Der Preis ist ein wichtiger Versuch, den deutschen Roman ins Gespräch zu bringen.“ Deutsche Literatur hat ein Strukturelles Problem wenn es um die Lizenzvergabe ins Ausland geht. Übersetzungen in die Weltsprache Nummer eins, das Englische, liegen erst an vierter Stelle. So werden alle 6 Romane der Endrunde vom Goetheinstitut stärker berücksichtigt und mit Übersetzungsförderung und Literaturverbindungsprogrammen bedacht. Der beste deutschsprachige Roman soll die Nation aufrütteln und ausländische Verlage für den deutschen Buchmarkt gewinnen.

 

Im Jahre 2105 wird man vielleicht einen Roman lesen, der vor 100 Jahren spielte. Ob er den deutschen Buchpreis erhalten wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob der so lange bestehen kann wie sein französische Pendant.

 

Gustav Mechlenburg (Financial Times Deutschland, 18. 10. 2005)