Auflauf
Vorbereitende Klasse fürs Ubu-Khâgne, Sie haben eineinhalb Stunden Zeit, die Dinge nicht ins Rollen zu bringen und sie so zu präparieren, dass man damit nichts mehr anfangen kann, weil es dann eben so schon gewesen ist, was es nachher nicht mehr sein kann. Weil die Buchstaben durch den Filmwolf gedreht wurden. Weil die Namen kein wirkliches Rückgrat besitzen, sondern im Sturm verweht werden. Ariel, Prospero, Master Jim, der Fürst. Gestapelt liegen sie da herum, die Bücher, und dann fliegen sie durchs Zimmer – weil man nach einem bestimmten sucht? oder weil man sich an der verfluchten Linearität rächen will? an der so schönen Kompaktheit eines materiellen Gegenstandes, der, schlägt man ihn auf, einfach so Leben erweckt?
Dagegen die Kamera, sie kann zwar dicht ran gehen, verlangsamen, zum Stehen bringen, aber der Rest ist dann schon Interpretation, weil der Godard’sche Kameramann ein Detektiv ist, der immer nur sucht, aber nichts findet. Er bietet Sachen an, und seien sie so unfilmische wie einfach Buchrücken, aber was macht man sich nicht krumm, um zu lesen, was auf diesen Rücken und damit insgeheim im Drehbuch steht mit dem ganzen Rattenschwanz an Bezügen und Anzüglichkeiten, Gedecken und Verdeckungen. Aber lässt man sich verführen? oder geht es um Lektionen? zum Beispiel um die Frage der Rückübersetzbarkeit dieses Filmmaterials in ein Buch, das mehr wäre als ein Drehbuch? Die Godard’sche Filmhölle, lasst alle Hoffnung fahren, die ihr hier zunächst ein Exposé vermutet, eine Situation, die dann notwendigerweise zum Kampf führt, denn irgendwann muss doch Tiger Jones auch mal richtig losschlagen und nicht nur so die Brüste seiner Prinzessin beklopfen.
Aber nichts will passen, auch nicht die verschiedenen Nachthemden, die die Geliebte immer wieder auszieht und den Zuschauer mit einem komischen Brust-da, Brust-fort konfrontieren. Passen wenigstens (wenigstens!) Menschen zusammen? etwa das Ehepaar, das richtig zusammenfindet nur noch unter der Bettdecke? was immerhin nicht nichts ist. Sein kräftiger nackter Rücken im Türrahmen überzeugt jedenfalls, und überzeugen tut leider auch die Bemerkung, dass man plötzlich keine große Lust mehr habe, bestimmte Dinge auszusprechen, um sie zu besprechen, und dass diese Bemerkung in den Ohren des anderen auch noch ein wenig falsch klinge.
Tja, das sieht gar nicht gut aus für die Problembewältigungsstrategie durch Sprache. Die Sprache ist kein Spiegel, vielleicht ein raffinierter Zerrspiegel, an dessen aparten Kreationen der Zuschauer sich erfreuen kann, wenn er nicht abgeschreckt ist und das ganze Trallala für einen übergroßen Bockmist hält und den Regisseur für einen Scharlatan. Trotzdem gibt es am Ende ein paar Wahrheiten, so zum Beispiel, dass die einzigen Buchstaben, die die Spiegelung unbeschadet überstehen, das O und das X sind, was ja ziemlich deutlich ist, die Geschichte der O, die unbestechliche Rhythmik des Sex, da können sogar die Ziffern nicht mithalten, die 6 ist nicht der Sex, sondern eine gespiegelte 9, wobei wir wieder in der Hölle wären, in der der Fürst hoffentlich nicht schmoren wird.
Dieter Wenk (03.01)
Jean-Luc Godard, Détective, Frankreich 1985