19. Oktober 2005

Nullnummer

 

Pierre-Simon de Laplace, herausragender Mathematiker des späten 18. Jahrhunderts, hinterließ der Nachwelt den imaginären „Laplaceschen Dämon“. Dieser könnte, behauptete Laplace, die Wahrscheinlichkeiten für alle künftigen und vergangenen Ereignisse in der Welt berechnen, wenn er denn die Naturgesetze auf alle Dinge in der Welt und ihre Beziehungen untereinander korrekt anwenden würde.

 

Laplace selbst war klar, dass sein Dämon wegen dieser einschränkenden Bedingung nur als Figur in Gedankenexperimenten eine Rolle spielen kann.

Adam Fawer hat dies in seinem Erstling „Null“ allerdings nicht davon abgehalten, dem Dämon eine konkrete Gestalt zu geben und ihn ins Zentrum der Handlung zu stellen. Denn der Protagonist, David Caine, ist nicht nur ein mathematisches Genie, sondern – wie im Laufe der knapp 600 Romanseiten deutlich wird - der Dämon höchst selbst. Er kann die Zukunft zwar nicht vorhersagen, aber die Wahrscheinlichkeiten aller möglichen kommenden Ereignisse berechnen und daraus gewissermaßen die wahrscheinlichste Zukunft ableiten.

 

Wie leicht auszumalen ist, macht die ungewöhnliche Gabe das Leben des David Caine recht kompliziert und erst recht gefährlich. Er muss sich nicht nur mit der Russenmafia (die ihn wegen einer ganz anderen Sache erledigen möchte) und diversen Geheimdiensten herum schlagen, sondern auch noch mit seinem Hausarzt, dem die Heilung von Caines schwerer Epilepsie allenfalls oberflächlich am Herzen liegt. Caine führt seinerseits einen schizoiden Zwillingsbruder (!) und eine Ex-KGB-Agentin ins Feld. Und, als ob das nicht schon fast zu viel wäre, lässt Fawer auch noch das kollektive Unterbewusste zu Wort kommen (ernsthaft).

 

Nun muss aus einem unübersichtlichen Plot nicht unbedingt ein schlechter Roman werden. Doch „Null“ funktioniert als Thriller überhaupt nicht. Das liegt vor allem daran, dass Spannung das Überraschungsmoment braucht – für Caine jedoch gibt es wegen seiner Gabe aber keine Überraschungen. Und da auch der Leser dies allsbald erfährt, macht er sich um den Fortgang der Handlung keine allzu großen Gedanken mehr, sondern lässt das über weite Strecken aberwitzige Geschehen an sich vorbei rauschen. Erschwerend kommt hinzu, dass Fawer an fast keinem Klischee vorbei schreibt (nur Sex kommt nicht vor), so dass er selbst den genre-üblich großzügigen Rahmen sprengt. Die größte Unverzeihlichkeit ist jedoch, dass Fawer uns nicht den leisesten Anflug von Humor gönnt. Kein Augenzwinkern, kein Hauch von Ironie, nirgends. Also sollen wir das Buch wohl ernst nehmen, doch damit wird aus einem belanglosen Zeitvertreib eine ärgernde Lektüre. Fazit: Null Punkte.

 

Hendrik Roggenkamp

 

Adam Fawer: Null, Kindler 2005

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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