Don’t step across the border
Ein paar Meilen vor der Stadt, in einem Vorwüstenniemandsland, steht auf einem von Stacheldraht umzäunten Gelände ein von außen flach wirkendes langes Gebäude, vor dessen einer Querseite ein blauer mittelgroßer LKW steht, daneben ein paar Abfallcontainer. Wohnen tut hier niemand. Umso eifriger wird gearbeitet. Das wellblechfarbene Haus ist nämlich eine Art Atelier, und man könnte dessen Nutzer, Eric Masters, ohne auch nur zu zögern, für einen Künstler halten, wenn er nicht ein Krimineller wäre, denn die Halle, in der er arbeitet, sieht aus wie eine kleine experimentelle Druckfabrik, in der auch die Waschmaschine nicht fehlen darf am Ende eines langen, aufwendigen und sicherlich eine ganz eigene Art von Befriedigung verschaffenden Prozesses der Geldherstellung. Der Mann weiß, was er will und was er tun muss. Schnüffler zum Beispiel werden kurzerhand, weil sie ja nicht wie ein Blatt Papier behandelt werden können, erschossen, und seien sie Geheimagenten, und sympathische noch dazu.
Aber Jim war auch sehr unvorsichtig auf seine nicht nur sprichwörtlich letzten Tage, denn er hat seinem besten Freund ein Versprechen gegeben, und er hat es nicht gehalten. Eric Masters jagt man nicht auf eigene Faust. Natürlich ist sein Kollege und Freund Richard Chance, der Mann mit den tollsten O-Beinen auf der Leinwand, sauer und schwört Rache. Das schöne an Geheimagenten ist, dass sie scheinbar alles dürfen. Nichts ist ihnen heilig. Alles können, ja müssen sie anfassen. Es gibt keinen Schmutz, und die einzige Kombination, vor der sie sich hüten müssen, heißt ganz schlicht, niemals zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Darauf steht im Normalfall die Todesstrafe. Also muss man das gesamte Realitätsmaterial entzerren, separieren und nach Erfahrungswerten neu zusammensetzen. Gelingt einem das schneller als dem Gegner, vorausgesetzt, man hat mit dem gleichen Material zu tun, geht man als Sieger hervor.
Entscheidend auch hier, was die jeweiligen Gegner sich als Entfaltungsraum auszudenken in der Lage sind, für beide Seiten. Wie illegal, wie skrupellos ist jemand, welche Grenze wird nicht übersprungen? Welche ehemaligen Gefährten muss man fallen lassen, wenn sie im Knast sitzen, welche haben sich bisher als unbestechlich erwiesen? Chance lässt natürlich nichts aus, er verfügt eine kriminelle Geliebte, die er jeder Zeit, sollte sie keine Informationen mehr liefern, zurück in den Knast bringen kann, sein neuer Kollege John ist (noch) nicht so hartgesotten, dass er den Plänen Richards großen Widerstand entgegensetzen könnte, der Staatsanwalt weiß ebenfalls, dass man manche Dinge etwas lockerer angehen muss, will man wenigstens ein paar Erfolge vorweisen können, und nicht zuletzt muss man auch mal eigene (getarnte) Kollegen umbringen oder jedenfalls in Situationen bringen können, die eventuell den Tod zur Folge haben. Wenn man dann noch jemand ist, der dreist genug ist, sich in die Höhle des Löwen zu wagen, um den mutmaßlichen Übeltäter mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, sollte eigentlich nichts mehr schief gehen dürfen. Strukturell stimmt das auch, bloß befinden sich danach neue Köpfe auf alten Plätzen, und das Spiel beginnt von neuem.
Dieter Wenk (03.01)
William Friedkin, Leben und Sterben in L.A. (To live and die in L.A.), USA 1985, Willem Dafoe, William Petersen u.a.