17. Oktober 2005

Im schwarzen Loch der Sprache wohnt eine Faust

 

William Budd, Baby Budd – das hört sich an wie Namen von Mann und Frau, müssen ja nicht unbedingt verheiratet sein. Aber nein, beides Namen von Männern, sogar von ein und demselben, der zumeist Billy Budd genannt wird. Und die ihn Baby nennen sind nicht etwa Frauen, sondern auch Männer, Matrosen, Kriegsleute auf einer Fregatte der Engländer, die sich in den 90ern des 18. Jahrhunderts hier und da mit den Franzosen eine kleine Schlacht liefern. Billy segelt nicht freiwillig mit, er gehört zu den so genannten Gepressten, die man erst nicht lange fragte, ob sie mit ein bisschen segeln fahren wollen. <?xml:namespace prefix = o ns = "urn:schemas-microsoft-com:office:office" />

 

Billy ist jung und wunderschön, fast zu schön für einen Mann. Er hat den einen und anderen Verehrer, unter anderem den Waffenmeister Claggart. Der ist gerissen, aber nicht genug – aber wer wäre das schon –, um Billy wissen zu lassen, um was es geht. Denn Billy, wie anziehend und sympathisch er auch ist, versteht nichts, er ist dumm, er hat keine Erfahrung, kann zwar hervorragend arbeiten und braucht wie jeder andere auch sein Päckchen Anerkennung, was er auch reichlich bekommt, aber er lernt nicht mit Situationen, die er nicht begreift und an deren Meisterung sich sein Verstand schulen könnte. Er ist jemand, der auch mit Sprache die Welt nicht auf Distanz bringen kann, um damit gewisse Reflexionsbögen zu schlagen. Alles, was über seinen begrenzten Sprachhaushalt hinausgeht, stürzt ihn in Verwunderung, sodass er Rat einholen muss, was gewisse Dinge wohl bedeuten mögen. Zum Beispiel, dass Claggart hinter ihm her sei. Er weiß einfach nicht, was das bedeutet. Er fürchtet, er habe Schlimmes angestellt.

 

All das heißt, und das merkt Claggart, dass Billy nicht verführbar ist. Weder durch Blicke und Sonstiges (was die Erzählung aber nicht ins Spiel bringt), noch durch einfaches Reden. Das mag auch den schlagfertigsten Matrosen durcheinander und auf dumme Gedanken bringen. Billys Diskursreinheit wird hinterrücks angeschwärzt. Claggart geht zum Kapitän, um ihm zu melden, dass Billy Zentrum einer Verschwörung sei, was gerade durch seine angebliche Tadellosigkeit auf den zweiten Blick einleuchten könnte. Der Kapitän glaubt dem Waffenmeister nicht, will diesen aber auf die Probe stellen und fordert ihn auf, das Gleiche Billy Budd ins Gesicht hinein zu sagen. Was auch sofort ausgeführt wird. Man ist zu dritt.

 

Nach der Anschuldigung fordert der Kapitän Billy auf, sich zu verteidigen. Aber der ist mundtot aufgrund der Ungeheuerlichkeit der Anschuldigung und durch die hypnotische Art, wie Claggart sie ihm in die Augen getrieben hat. Da er aber irgend etwas zurückgeben muss, dies aber keine Worte sein können, fährt ein Arm aus und schlägt dem anderen ins Gesicht. Ein tödlicher Schlag. Der Kapitän holt erst den Arzt, um den Tod feststellen zu lassen, dann einige Offiziere zur Bildung eines Kriegsgerichts. Billy zu seiner zweiten Verteidigung, sein erster Selbstdistanzierungsversuch, der auch noch erfolgreich ist und mitten ins Schwarze trifft: „Ich wollte ihn nicht töten. Hätte ich reden können, so hätte ich nicht zugeschlagen. Aber er log mir gemein ins Gesicht vor meinem Kapitän, und ich musste etwas erwidern und konnte es nur durch einen Schlag tun.“

 

Solche Situationen führen gewisse Diskursethiken nicht im Programm, die schon dadurch, dass sie sprachlich verfasst sind und alles in Sprache hineinpressen wollen, in der Tat faschistisch sind.

 

Dieter Wenk (02.01)

 

Herman Melville, Billy Budd, verschiedene Ausgaben