12. Oktober 2005

Wohnpopkultur

 

Veränderungen in der Gesellschaft haben spätestens seit der Nach-Nachkriegsgeneration dazu geführt, dass sich nach der Kindheit zwischen Adoleszenz und Erreichen des „Erwachsenen“-Status ein weiteres Lebensalter eingenistet hat. Der moderne Post-Jugendliche lebt nach Schulabschluss in einer Art guten Unzeit, die mit jeder Menge Spaß, Popkultur und Depression verbunden ist. Oliver Uschmann berichtet uns aus dieser und bestärkt uns in dieser Zeit.

 

„Hartmut und ich“ dreht sich um den Erzähler und seinen Freund Hartmut, mit dem er die Wohnung teilt. Um ihr Zusammenleben, um die gemeinsamen Erlebnisse, das gegeneinander und miteinander Ausgesetzt-Sein. Aus einem komischen, manchmal satirischen Blickwinkel darf man an dem erfindungsreichen Alltag zwischen Playstation, Langeweile, Eigenbrödlerei, Gegenkultur und Trash-Dokumentarfilm-Abhängigkeit teilhaben.

 

Zuvor jedoch wird der potenzielle Leser von der Umschlaggestaltung erst einmal völlig fehlgeleitet. „Hartmut und ich“ wird als Roman untertitelt. Dieses ist in sofern irreführend, als dass es sich um keine Story mit einem durchgängigen Handlungsfaden handelt, sondern um einzelne, ganz feine Geschichten, deren Reihenfolge nur wenig von Belang ist. Weiterhin informiert ein anpreisender Extraaufkleber auf dem Taschenbuch darüber, dass es sich um einen „Männer-WG“-Roman handelt. Dieses ist wohl richtig, aber eben auch überaus schädlich zu benennen, da bei diesem Wort entstehende Spontanassoziationen zu äußerst unangenehmen Körperreaktionen führen. Hätte ich dieses Buch in einem Buchladen begutachtet und diesen Schandsticker entdeckt, hätte ich mich umgehend versichert, nicht beobachtet worden zu sein, und diesen Roman über moderne studentische Wohnkultur sofort wieder ins Regal verfrachtet und wahrscheinlich sogar noch hinter Kanzlergattinnenbiografien versteckt, bei denen ich mir sicher bin, dass sie sowieso niemand liest.

 

Glücklicherweise ist erstens mir dieses Buch quasi zugesteckt worden und nicht Opfer meiner Auswahl geworden und zweitens weiß ich seit der Schule, dass Form und Inhalt zwei verschiedene Dinge sind. Und tatsächlich birgt dieser im Setting einer gewissen Wohnkultur spielende Reader eine äußerst unterhaltsame Sammlung von Kleinoden. Uschmann beweist sich als hochbegabter Alltagsbeobachter und als sprachlich virtuoser Kleinkrämer, bei dem Einkaufen zu einem echten Erlebnis wird. Spätestens in Kapitel zwei hat mich seine Schreibe überzeugt: „Sehe ich etwa so aus, als hätte ich studiert?“, fragt der Rosenmann unverblümt. Der Blumenverkäufer ist zu dieser Zeit noch im Besitz seines Rosenstraußes, der ihm jedoch später vom Erzähler zur Rettung seines Freundes komplett abgekauft wird.

 

Ungefragt gibt der Autor die subkulturelle europäische Antwort auf die amerikanische Fernsehserie „Friends“. Wobei man sich bei dem Subkulturellen wahrscheinlich nicht einmal so ganz sicher sein kann. Wahrscheinlich ist das hier Beschriebene inzwischen schon viel mehr, wenn auch unbewusste, Major-Realität. Mit herkömmlichen Übersee-Fernsehshows teilt das Buch den Aufbau in Episoden und den darin stets perfide neu gespannten Spannungsbogen und die daraus resultierende extreme Kurzweiligkeit. Allerdings werden Oberflächlichkeit mit Herzblut, billige, klinisch reine Kulissen durch ein abbruchreifes authentisches Heim im Ruhrgebiet und die Hintergrundlacher durch das stille Schmunzeln und wohlige Lächeln des Lesers ersetzt. Insbesondere Letzteres kann man angesichts der unangenehmen Tatsache, dass die meisten Lachaufnahmen nach meinen Informationen mindestens aus den 70er Jahren von inzwischen längst verblichenen Emotionsstatisten stammen, nur begrüßen.

 

Zusammenfassend sind somit Inhalt und Stil mit Bestnoten zu bewerten und lassen uns auf einen richtigen, echten Roman hoffen, dessen Kapitel mehr verbindet als lediglich die Gleichheit der Charaktere. Die verlagsseitige Attributierung des Werks als Post-Popliteratur lässt sich nur schwer nachvollziehen, weder liest sich dieses aus dem Inhalt noch aus dem Fakt heraus, dass der Erzähler als Paketsortierer bei UPS arbeitet. Als Kernstück, das zu dieser Aussage verleitet hat, muss das Kapitel „Ironisch gebrochen“ geführt haben. Darin werden Trainingsjackenstudenten als Symbol der vorherrschenden Studentenkultur und Tocotronic-Fetischisten (und da spielt es dann vielleicht doch eine Rolle, dass der Erzähler seinem Alltag nach der Arbeiterklasse zugehörig ist) mit Mitteln der körperlichen Züchtigung die unsägliche Ironie und Unernsthaftigkeit ausgetrieben. Jedoch bleiben die drei Philosophiestudenten-Bübchen am Ende ja doch nicht mehr als eine Form der Popkultur. Popkultur ist bei Ausweitung dieses Begriffs ja nur eine Abgrenzung zum Altbackenen, und da sollten wir doch eher froh sein, mit Oliver Uschmann einen neuen Star in den Zenit dieser Kultur aufsteigen zu sehen.

 

Tobias Else

 

Oliver Uschmann: „Hartmut und ich“, S. Fischer 2005

 

www.hartmut-und-ich.de

 

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