Hackebeil und Ginkoblatt

 

Solche Künstler sieht man heute gar nicht mehr. Stolzes Embonpoint, dreiteiliger Straßenanzug, die Haare mit Wasser oder Brisk nach hinten gekämmt. Der Maler Willi Baumeister (1889-1955) sah so aus. Das Erscheinungsbild von Künstlern entspricht immer genau dem Outfit der jeweils erfolgreichen Geschäftsleute. So kommt es, dass Künstler heutzutage aussehen wie smarte Start-up-Firmenchefs und nicht wie Willi Baumeister, der vor 50 Jahren starb.

 

Abgesehen vom verwandeltem Künstlerhabitus, haben die Bilder Willi Baumeisters allerdings Ähnlichkeiten mit Bildern heute abstrakt malender Künstler. Es ist die zurückhaltende Formensprache, die leicht muffige Teebeutelfarbigkeit und die höfliche, aber bestimmte Art, dem Betrachter nahe zulegen, sich von der Gier nach erkennbaren Gegenständen und tosender Action bitte schleunigst zu distanzieren. Die 50er-Jahre-Kunst funktioniert ähnlich wie heute die Bilder von Sergej Jensen, Tomma Abts oder Stefan Müller. Sie sind keine Spur agitatorisch, aber einer Idee verpflichtet. Die jungen formalistischen Maler arbeiten wie auch Baumeister mit historischen Referenzen auf die Moderne. Sie stehen für eine inhaltlich orientierte Haltung und Entscheidungen, deren visuelle Resultate auf den ersten Blick nicht zwingend ihre Analysen des Kontextes erkennen lassen.

 

Die Repressalien der Nazis trieben Baumeister in die innere Emigration. Er verlor die künstlerische Selbstverantwortung dabei nicht aus den Augen. Er verlor 1933 seine Professur an der Frankfurter Städelschule. Er galt als „entartet“ und hatte Ausstellungsverbot. In die Isolation gezwungen, wendet er sich im Verborgenen der Beschäftigung mit frühen und fremden Kulturen zu. Steinzeitliche Felszeichnungen, Steinbeile und die Kultur Schwarzafrikas fesseln seine Aufmerksamkeit. In der Zeit, als ihm das Arbeitsmaterial ausging, sein Haus in Stuttgart beschossen wurde, das Atelier unbrauchbar, schrieb er 1943 „Das Unbekannte in der Kunst“. Ein Manifest für die Abstraktion gegen die Salonmalerei, die Gummihosenträger, die, wie Baumeister bitter ironisch bemerkte, den typisch deutschen Gang machen, gegen die Propagandakunst der Nazis und süßlichen Kitsch. Gegen den konservativen Kunsthistoriker Sedelmayer, der greinend den Verlust der Mitte beklagte. Der Text erscheint zwei Jahre nach Kriegsende und festigt Baumeisters Ruf als moralische Instanz: Freiheit in der Wahl der künstlerischen Mittel, Freiheit von politischen Zwängen. Freiheit von der Pflicht zur wieder erkennbaren Abbildung. Nicht nach der Natur sei zu malen, sondern wie Natur selbst, fordert Baumeister.

 

Diese umfassende Herausforderung erscheint beim Betrachten der Ausstellung als das Selbstverständlichste und Leichteste von der Welt. Denn die Welt ist voll mit Baumeisters Bildmotiven, sie fliegen vor den geschlossenen Augen, wenn man zu lange in die Sonne starrt, sie warten als Ideen ohne Begriff in den Winkeln unserer Hirnkästchen, sie sind, von Baumeister gemalt: freundlich, malvenfarbig und ein bisschen sandig. Er malte und forderte Kunst, die sich nicht mit Verständlichkeit rechtfertigen muss.

 

Es gehört mit zu den frappierendsten Momenten der Ausstellung festzustellen, wie freundlich die Kunst Baumeisters ist. Leise humoristisch und ein klein wenig ironisch. Schön ist, dass die unter der Leitung von Heinz Spielmann entstandene Ausstellung auch Teile der privaten Sammlung Baumeisters zeigt, Artefakte alter und außereuropäischer Kulturen, die er seit 1940 intensiv zu sammeln begann. Archäologische oder ethnologische Vorbilder sollten Schlüssel sein zu Brunnenschächten tiefer, vergessener Wesensschau. Baumeister wollte zu diesen Ursprüngen hinab, ein Fortwirken und Erleben irgendwelcher Urkräfte bereits in den geliebten Sammelstücken vermutend.

 

Baumeister macht den typischen „Fehler“ im Umgang mit solcher Importware, er schreibt den Gegenständen Ursprünglichkeit zu. Wenigstens hält er sie nicht für den Inbegriff des Dämonischen, wie andere Kollegen z. B. im Kreise der Surrealisten das gerne taten. Baumeister interessiert sich für die Form und die Abstraktion der Sammlungsstücke. Mexikanische Figürchen, afrikanische Bretter, prähistorische Werkzeuge, alles lächelt. Es herrscht ein einvernehmliches Miteinander. Verreist in fremde Länder war Baumeister übrigens nie.

 

Er sucht Allgemeingültigkeit. Ideogramme. Eidosbilder heißen Werkblöcke Baumeisters, in denen er mit Ideenzeichen Sammelfiguren für Natur und Geschichte und Leben und Gesetz gleichzeitig zu finden trachtet. Er arbeitet aus der Anschauung des Lebens heraus, welches sich in ständiger Verwandlung befindet. Und sucht doch das Gesetz dahinter. Seine Vorstellungen waren amüsanterweise sehr konkret. Auf sein Bild „Urpflanzlich“ malt er zu nickenden Ginkoblättern eine verschleierte Sonne und gibt zu Protokoll: „Vermutlich hat man die Sonne nicht deutlicher wahrgenommen, infolge einer Nebelschicht, die über den Sümpfen der Steinkohlenwälder lag.“ Genau!

 

Ganz unabhängig, ob man sich an die Ausdeutung des Elementargeisterkrams auf den Bildern macht und Baumeisters launige Literaturinterpretationen vom Gilgamesch-Epos bis zum Faust nachvollzieht, sind es wunderbare Bilder. Eratisch, amöbenhaft, verspachtelt und verschachtelt.

 

Die Ausstellung mit abstrakter Malerei Willi Baumeisters lässt sich wie eine Paraphrase zu der Entwicklung betrachten, die sich seit einiger Zeit in zeitgenössischen Ausstellungen beobachten lässt. Abstrakte Malerei rückt wieder verstärkt ins Zentrum der Aufmerksamkeit und wird die gegenständliche Malerei aus Leipzig und Anderswo ablösen.

 

Diese Schau ist ein Gruß aus dem Reich der Metamorphose, Baumeisters Lieblingsidee, und ein Gruß aus den 50er Jahren hinüber in den heutigen Betrieb der sich unaufhörlich wandelnden Interessen der Künstler.

 

Nora Sdun

 

(Retrospektive mit 250 Exponaten von Willi Baumeister. Die Ausstellung bezieht sich in ihrer Struktur und Anordnung auf die letzte vom Künstler selbst eingerichtete Schau im Stuttgarter Kunstverein. Ausstellungskatalog (Hatje Cantz Verlag, 24,80 EUR), Werkverzeichnis der Druckgraphik (Hatje Cantz Verlag, ca. 59,- EUR).