12. September 2005

Von gespaltenen Körpern und Bildschirmen

 

Ungetrennte siamesische Zwillinge entsprechen noch am ehesten den schon lange ausgestorbenen Kugelwesen, die Zeus irgendwann in einem simultanen chirurgischen Akt (vermutlich Kugelblitz) trennen ließ, weil sie zu frech, also zu böse wurden. Seitdem, so liest man noch bei Platon, sucht jedes Einzelwesen sein Komplement, auf dass die Beziehung wieder rund laufe. Wir Heutigen laufen immer noch. Nach. Aber das ist wohl falsch, und wir sollten uns ein Beispiel an denen nehmen, die von Anfang an zusammen leben und nur getrennt werden wollen. Zwei Seelen in einem Körper. Eigentlich furchtbar. Dein Schatten, das bist du als dein anderer. Oder so.

 

Danielle jedenfalls hat es geschafft. Sie lebt nach der Trennung von ihrer siamesischen Zwillingsschwester Dominique ihr eigenes Leben, ist sogar schon wieder geschieden – als ob auch eine nur symbolische Ergänzung zu viel Ballast bedeuten würde – und arbeitet als Mannequin. Sie tritt sogar im Fernsehen auf, wo sie in einer Quizshow einen sympathischen jungen Mann kennen lernt. Die beiden verbringen sogar die Nacht zusammen, aber leider ist der Lover ein paar Stunden später tot. Der Mord wird ausführlich gezeigt, man weiß, warum er geschah (die fatale Wirkung der abwesenden Pillen), aber was hatte es mit der unsichtbaren Schwester auf sich, deren Stimme man nur hörte. Da der Tote natürlich nicht mehr selbst recherchieren kann, tut das in Stellvertretung die Journalistin Claire, die den Mord von ihrer Wohnung aus beobachtete. Die dazugeschaltete Polizei glaubt ihr erst mal nicht, erstens aus Trägheit, zweitens wegen Retourkutschenverpflichtung, drittens, weil, als man dann tatsächlich in Danielles Wohnung ein bisschen rumsucht, nichts zu sehen ist (der Tote ist schön verpackt in der zusammenlegbaren Couch). Der von Danielle geschiedene Gatte, Emil, ein merkwürdiger Geselle, half nämlich bei den Aufräumarbeiten, viel Blut war geflossen (die „Psycho“-Anleihen sind gegessen, aber hat man schon einmal so eine Torte beschriften sehen wie hier, in der Konditorei, als ob nämlich aus einem Messer Schaum flösse?).

 

Claire steht also erst mal dumm da. Natürlich lässt sich ihr Enthüllungstrieb nicht so leicht zur Strecke bringen. Ein Detektiv soll mithelfen. Der verfolgt dann seine eigene Spur und fährt in Richtung kanadische Grenze. Derweil lernt Claire den Unterschied zwischen Psychiatrie und der topaktuellen Antipsychiatrie à la Laing und Guattari am eigenen Leib kennen. Der seltsame Geselle ist nämlich nicht nur Danielles Exmann, sondern zugleich ihr Arzt, der sich in seiner Klinik um sie kümmert. Als Claire in der Klinik aufkreuzt, in der gerade Danielle „versorgt“ wird, schafft sie es leider nicht, ihre wahre Identität glaubhaft zu vermitteln, à la: Irre sprechen besonders dann irre, wenn sie normal zu sprechen meinen. Anschließend wird Claire einem Verfahren unterzogen, das man schon ganz tief unten in der psychodidaktischen Mottenkiste glaubte: Sie wird nämlich hypnotisiert, mit etwas weniger wissenschaftlichem Aufwand allerdings als zwei Jahre vorher der böse Bube aus „Clockwork Orange“.

 

Während Claire schläft und die neue „Wahrheit“ sich zu setzen beginnt, macht sich ein weiteres Mal ganz übel bemerkbar, dass Danielle ein Ruheanker fehlt. Mittlerweile weiß man nämlich auch, dass bei der chirurgischen Trennoperation Dominique starb, die bislang als der Unruhegeist im Tandem galt. Die Meinung des damals behandelnden Arztes: Danielle sei gut nur so lange, wie Dominique existiere. Ohne sie… Entweder Tabletten, oder: Blut. Die Wunden, die Danielle schlägt, immer nahe am Geschlecht des Mannes vorbei, etwa an der Stelle, wo auch ihre Narbe sitzt: eine auf ewig geschlossene (und nur pharmazeutisch zu öffnende) Vagina, die ihre Trägerin zu einer lebenden Toten macht, zu einem Zombie, der nur noch blind töten kann. Auch ihr Ex fällt ihr zum Opfer. Obwohl nun aber die Polizei etwas mehr Material zur Verfügung hat, wird Claire bockig. Da sei kein Mörder, weil da kein Mord war. Immerhin hat also die Hypnose geklappt.

 

In dieser Pattsituation ist man gespannt auf das Abschlussbild, das wirklich großartig ist. Der Detektiv ist mittlerweile an der kanadischen Grenze angekommen, eine Art Bahnhof oder größerer Abstellplatz, man sieht von oben eine Kuh am corpus delicti, dem Sofa mit der Leiche, entlang streichen, ein seltsamer dreirädriger Traktor, abgespeckt wie ein Skelett, hält auf das Stillleben zu, und dann sieht man erst den Fuß, dann die Beine, dann die ganze Gestalt des Detektivs, der als Elektriker an einem Strommast hängt und seinen Job macht. Ende.

 

Dieter Wenk (09.05)

 

Brian de Palma, Die Schwestern des Bösen, (Sisters), USA 1972, Margot Kidder (Danielle), Jennifer Salt (Claire Collier), Charles Durning (Joseph Larch), Bill Finley (Emil Breton) u.a.; Drehbuch: de Palma, Louisa Rose; Musik: Bernard Herrmann