9. September 2005

Fleischbeschau, analytisch

 

Können sich so viele Männer irren, wie es ihnen immer wieder unterstellt wird? Ist der Phallozentrismus in einer bestimmten Spielart unhintergehbar? Muss man das älteste Gewerbe der Welt als die andere Erbsünde akzeptieren? Die Anrufung der Frau ist so alt wie ihre Aufteilung in Hure und Mutter (im Paradies gab es deshalb weder die eine noch die andere). Das Verbot begleitet die Prostitution wie ihren eigenen Schatten, aber bekanntlich ist nur der Schatten Lucky Lukes schneller als sein Daseinsspender. Wenn also die Prostitution nicht ganz in der Nacht versinken soll, wie geht man mit ihr um, oder, wie der Autor fragt: Ist Prostitution moralisch vertretbar?

 

Die Betroffenen können alle aufatmen. Es ist alles okay. Vielleicht nicht alles so, wie es gerade hier und da läuft (Menschenhandel mit anschließender Zwangsprostitution, ausbeuterische Formen der Zuhälterei), aber prinzipiell ist nichts gegen Prostitution einzuwenden. Den aufwendigen Beweis liefert Norbert Campagna in diesem Buch. Das Ergebnis lässt sich bequem in folgenden Punkten zusammenfassen, auf Seite 204 dieses Buches nachzulesen: „In ihrem Aufsatz „Prostitution und der Besitz des eigenen Körpers“ führt Sibyl Schwarzenbach sechs Bedingungen einer akzeptablen Prostitution an. Die sich prostituierende Person muss erstens erwachsen und zweitens zurechnungsfähig sein. Drittens muss sie sich frei für die Prostitution entschieden haben, und sie muss auch viertens in Sicherheit arbeiten. Fünfte Bedingung ist, dass die sich prostituierende Person das Recht behält, nein zu sagen. Und sechstens soll die sich prostituierende Person keine wesentlichen Fähigkeiten ihres Selbst aufgeben müssen (Schwarzenbach 2000: 15). Dem wäre noch hinzuzufügen, dass die sich prostituierende Person nicht ausgebeutet werden darf und dass die Kunden sie mit Respekt behandeln müssen.“

 

Der Autor räumt also auf mit Vorurteilen wie dem, dass Prostituierte (die meisten ja immer noch Frauen) ihren Körper verkaufen würden. Erstens wäre das rechtlich gar nicht möglich, zweitens ist Prostitution nicht mit Sklaverei gleichzusetzen, und drittens lässt sich das Tauschverhältnis sehr einfach fassen als eines, im Rahmen dessen ein sexuelles Gut gegen ein nichtsexuelles getauscht wird. Dass sich diese elegante Formel einer Nominaldefinition nicht mit allen historischen Erscheinungsweisen von „Prostitution“ deckt, gibt der Autor gerne zu, aber der Leser hat es ja auch mit einer „philosophischen Untersuchung“ zu tun, die sich nicht das Wittgensteinsche Sprachspiel vorgeben lässt.

 

Das Buch ist wie gesagt sehr ausführlich, aber das ist zugleich seine größte Schwäche. Man kommt sich als Leser ein bisschen wie ein dummer Schüler auf der Schulbank vor, Sektion penetrante Sexualkunde. Man würde das Buch ganz lesen, wäre es kürzer und vor allem weniger scholastisch. Am interessantesten sind gerade die Ausführungen zur Geschichte der Prostitution, wo man u.a. erfährt, dass es etwa im Sanskrit 330 Synonyme für das Wort „Prostituierte“ geben soll. Mehr hätte man gerne noch über den so genannten „Mann Act“ in den USA erfahren. Aber begriffsethisch ist erst mal reiner Tisch gemacht.

 

Dieter Wenk (09.05)

 

Norbert Campagna, Prostitution. Eine philosophische Untersuchung, Berlin 2005 (Parerga)

 

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