6. September 2005

Verständigung

 

Vom Standpunkt der Satire erscheint einem der Alltag eines 30-Jährigen endlich als das, was er ist, nämlich absurd. Keiner soll glauben, dass Raul Zelik irgendwo in seinem Text eine Reflexionsebene dazuschaltet, dafür wird man aber 300 Seiten lang unterhalten mit Begebenheiten, die ihre Komik sonst nicht so bereitwillig preisgeben.

 

Raul Zelik, von der Kritik auf Gender, Migration und politisch korrekte Zustände aller Art abonniert, hat eine Groteske geschrieben, die in Berlin spielt. Ein Buch über Inkassounternehmen, Outsourcing, verprellte Arbeitnehmer und schlagkräftige Freundinnen.

 

Raul Zelik veralbert verhältnismäßige Schieflagen. Gesellschaftliche Fakten, deren fatales Potenzial sonst immer nur als Tagesschaumeldung ins taube Ohr der Öffentlichkeit dringt. Empörend hohe Schwarzmaktzahlen, skandalöse Baubranchenmorde oder gelungene Abschiebungsrazzien.

 

Der Titel des Romans ist übrigens irreführend. "Berliner Verhältnisse" beschäftigt sich nicht mit mythischer Fremdenverkehrsrhetorik, wie sie rund um die feiste Mitte Berlins an jedem Kiosk zu haben ist.

 

Zelik verschränkt fremdenverkehrsfeindliches Material mit philologisch plappernden, zeternden und Rückengymnastik treibenden Berliner Bürgern. Mario heißt der zunehmend verwirrte Held. Er ist 32 Jahre alt und wohnt in einer WG. Seine Mutter bringt ihn zur Verzweiflung, wenn sie ihm sagt, er solle an die Zukunft denken. Derweil trägt sie sich blauen Lidschatten auf, von dem sie letzte Woche noch abfällig bemerkte, nicht einmal Aufsichtsratskonkubinen nähmen blauen Lidschatten.

 

Seine drei Mitbewohner können ihm bei solchen Familienkrisen nur bedingt helfen. Didis dänische Dogge ist aber ein treuer und hilfreicher Begleiter, als die WG sich anschickt, ausstehende Löhne einzutreiben, um endlich Geld zu verdienen, um endlich an die Zukunft zu denken und um schließlich mehr Platz in der Küche zu haben. Denn dort braten Antonescu und seine Mitarbeiter vom Bau schon seit Wochen Auberginen, weil sie keine eigene Wohnung zahlen können, weil sie keine Löhne erhalten, weil sie illegal in Berlin sind.

 

Außerdem spielen noch viele weitere Bauarbeiter mit Kunsthistoriker-Diplom mit und eine resolute junge Frau namens Melek, die lieber eine nützliche Edeka-Filiale hätte statt ihres scheußlichen Geschenkartikelladens, der von ihrem klugen Unternehmensberater "Britta" getauft wurde.

 

Weil das Buch eine Groteske ist, kann es dabei noch lange nicht bleiben. Mario hat also noch einen schwerreichen Bruder und der ist Immobilienhai. Und es gibt einen Mann im Hasenkostüm, der ihn verfolgt.

 

Dies Buch setzt dem sauertöpfischen Widerstandsaktivismus, der dem Klischee zu Willen in Wohngemeinschaften überwintert, eine unsinnige, aber ungemein kleidsame Kappe auf. Das ständige Gewitzel ist der Motor der Geschichte, aber nicht sein Anlass. Das auch Liebesbeziehungen outgesourcet werden, ist nur die vordergründige, die obligatorische Liebesgeschichte sozusagen.

 

Zelik schreibt über Verständigungsprobleme. Dies Thema wird nun aber nicht zu tränenvollen Schematismen von Verlierern und Gewinnern ausgearbeitet, sondern für die albernsten Durchgänge genutzt, die man mit Sprache überhaupt anstellen kann. Mario versteht nicht, warum sein schwuler Freund plötzlich eine Frau hat. Als ihn dieser zur Erklärung anbrüllt, er sei bisexuell, echot es fragend von einem unbeteiligten Besucher der WG-Küche: Biseksüel? Kurzum, die Verständigungsprobleme bestehen nicht zwischen den Völkern und Geschlechtern, sondern zwischen Hirn und Mund.

 

Ibrahim, der das Goethe-Institut nicht nur besucht, sondern scheint`s auch gegründet hat, hält Vorlesungen für seine Kollegen. Ihm geht es um kultivierte Bekanntmachung mit dem, was man als deutscher Ureinwohner nur noch vom Hörensagen kennt. Das ist übertrieben, wie alle Anwesenden einschließlich des Lesers auch finden, aber Übertreibung ist in diesem Buch Methode. Um endlich einmal Klartext zu sprechen mit dem sonst ständig telefonierenden und das Funknetz kontrollierenden Bruder, muss man zu radikalen Mitteln greifen.

 

Radikale Mittel: Erpressung, Raub, Betäubung, allgemein und völlig zu Recht als Bedrohung empfunden, sind auch in den Händen von Zeliks Protagonisten radikale Mittel. Ihre Inkraftsetzung ist aber stets begleitet von so lächerlichen Debatten, die quer durch die postmodernen präpotenten Laberstübchen führen, dass es ein Wunder bleibt, wie sie überhaupt zur Tat schreiten können. Beim Lesen schnappt man kreischend nach Luft.

 

Der Roman "Berliner Verhältnisse" verharmlost nicht die Zustände, stellt sie aber in Zusammenhänge, in denen solche "Verhältnisse" gehandhabt werden wie der WG-Abwasch. Die Tragik ist groß, aber das freudige Gebrüll beim letzten Teller, lässt nicht lange auf sich warten.

 

NORA SDUN

 

Raul Zelik: "Berliner Verhältnisse", Roman, Blumenbar Verlag, München 2005, 318 Seiten, 18 Euro

 

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