30. August 2005

Der Affe im Korb

 

Wer, wie Spinoza, einer ganzen Riege an Affekten – namentlich den negativen – Hausverbot erteilen möchte und sich überlegt, was sich mit den übrig gebliebenen zum Beispiel literarisch anstellen lässt, kann sich erst einmal bei Stifters Auslassungsliteratur schlau machen. Er könnte aber auch in die oben genannte Novelle hineinschauen, die zum Zyklus der „Züricher Novellen“ Kellers gehört, denn das Schicksal des Landvogts von Greifensee wäre allemal dazu angetan, in schwarzen Farben fünffache vergebliche Liebesmühe zu schildern, um zuletzt die Außenmauer der Ritterburg als erlösenden Sprung ins Nichts zu feiern. Nichts dergleichen geschieht. Keller ist kein Romantiker mehr, und was er erzählt, ist Teil der Geschichte des 18. Jahrhunderts, zur Zeit der alten Eidgenossenschaft, vor den Ereignissen der Französischen Revolution, und die Haltung der Hauptfiguren ist durchweg aristokratisch-spielerisch-rokokohaft. <?xml:namespace prefix = o ns = "urn:schemas-microsoft-com:office:office" />

 

Zunächst flicht der Erzähler den Korb der Körbe als Binnenerzählungen, die den größten Raum innerhalb der Novelle ausmachen. Eher genüsslich als betroffen schildert er die unerwarteten Wendungen, die den Obristen Salomon Landolt, „damals Landvogt der Herrschaft Greifensee“, jeweils leer ausgehen lassen, was zum Teil selbst verschuldet ist, teils aber auch nicht in seiner Hand lag. Die Namen der Damen, die natürlich auch bürgerlich angeschrieben sind, weisen den Weg nicht ins Dramatisch-Finstre, sondern durchweg ins Possierlich-Harmlose: Distelfink, Hanswurstel, Kapitän, Grasmücke und Amsel. Mit all diesen Kandidatinnen hat es also nicht geklappt, hinter Hanswurstel etwa verbirgt sich eine Figura Leu, die dem Heiraten für immer abschwor, weil sie befürchtete, wie ihre Mutter wahnsinnig zu werden. Keller lässt das Register der Schauerromantik hübsch in Ruhe, es werden allein ganz alltägliche Dinge beschrieben, sehr nett, für den heutigen Geschmack ein wenig zu nett unangeschlagen, was auch für die anderen Partien gilt.

 

Mit 43 ist Landolt überzeugter Hagestolz. Plötzlich kommt ihm die Idee, seine fünf Freundinnen zu sich einzuladen, und zwar ohne dass sie voneinander wissen. Es wird ein Festtag. Gemeinsames Frühstück, anschließende Vorführung seiner Tätigkeit als kompetenter Richter vor allem in Heiratsangelegenheiten (Wink mit dem Zaunpfahl), Mittagessen, Bootsfahrt und zuletzt ein umgekehrtes Spiel: Die fünf Frauen sollen darüber befinden – da Landolt sich dem öffentlichen Willen scheinbar beugen möchte, doch endlich zu heiraten –, wer es denn schließlich sein soll: entweder Landolts Wirtschafterin Marianne, die schon neun Kindern das Leben schenkte (vermutlich von neun verschiedenen Vätern), oder eine seltsame junge Person, die die Damen als Serviererin an diesem Tag kennen gelernt hatten. Anscheinend ärgert sich nun die eine oder andere der Frauen über diese skandalöse Alternative und sähe in sich selbst den viel treffenderen Partner. Allein das gehört nicht zu den Spielregeln, eine Entscheidung muss getroffen werden, sie fällt auf die junge Person, die sich natürlich als verkleideter Junge entpuppt.

 

Abgekartetes Spiel des Landvogts mit sich selbst. Das war es schon mit der Genugtuung, entspannt und gelöst werden die Damen wieder nach Hause gebracht, und erstaunt stellt man fest, dass Rache vielleicht eine anthropologische Konstante ist, ihre Erscheinung jedoch seltsam heitere Manifestationen zulässt.

 

Dieter Wenk (08.05)

 

Gottfried Keller, Der Landvogt von Greifensee, in: Züricher Novellen, 1876/78, verschiedene Ausgaben