28. August 2005

Aufstieg und Fall: Techno als Musikrevolution

 

Was haben ein Koch und ein DJ gemeinsam? Sie fliegen sehr schnell, wenn das, was sie mischen, nur ihnen selbst gefällt. Allerdings gilt auch: je bekannter der Name, desto größer die Bereitschaft des Publikums, sich dominieren zu lassen. Diese Erfahrung hatte Laurent Garnier nur als DJ gemacht, den als Koch ausgebildeten Garnier darf man sich als korrekten Erfüllungsgehilfen seines Herrn in der französischen Botschaft in London vorstellen. Dort fing eigentlich alles an, ausgehen, Party machen, angesagte Clubs besuchen („Mud“), Platten sammeln und den Traum vom Plattenauflegen fortträumen. Noch vor seinem Wehrdienst in Paris der entscheidende Aufenthalt in Manchester zur richtigen Zeit: 1987 hielt der aus Chicago kommende House Einzug in die nordenglische Stadt, ein Jahr später feiert man bereits den ersten „Sommer of Love“, Hauptvergnügungsstätte: „The Haçienda“, Vorbild die New Yorker „Sound Factory“.

 

Laurent Garnier nimmt den Leser mit auf seine nun schon knapp 20-jährige Reise als Mann hinter den Plattentellern, die in Manchester begann, wo er seine erste Residency feierte, ihn nach Paris führte, wo er u.a. im schwer angesagten „Rex“ auflegte und er doch zusehen musste, wie sich House und Techno dort nicht recht durchsetzen konnten (das gelang erst zehn Jahre später). Also wieder zurück nach Manchester, mittlerweile hat Pandoras revolutionäre Musikbox noch ganz andere Genüsse verteilt, am unerlässlichsten die Droge Ecstasy, von der auch Garnier nascht. Aber in Maßen oder funktional, denn laut Laurent Garnier gibt es eine Aufstiegs- und eine Abstiegsgeschichte von Techno (Scheitelpunkt etwa 1994/95), die auch die Relation von Droge und Musik bestimmt. Am Anfang stand alles im Schatten der Musik, des Hörens, Auflegens und Tanzens, irgendwann kippte dieses Verhältnis, und Ecstasy übernahm die Führung, die Musik verlor an Qualität, war im besten Fall garnierendes Element eines selbst abfahrenden psychischen Innendeliriums.

 

Der Traum aller europäischen Techno-DJs in der Anfangszeit: einmal nach Detroit fahren und dort auflegen dürfen. Laurent Garniers Aufenthalt dort wird zur großen Enttäuschung; was er dort kennen lernt: Segregation, alles andere als Großzügigkeit der Location, man fährt auf geheimen Wegen in leer stehende Schulen, wo in ausgeräumten Klassenzimmern ein paar Leute darauf warten, dass man ihnen Musik vorspielt, nur um eine Stunde später von der Polizei oder einer Gang verjagt zu werden. Für Garnier heißt das aber auch: Ohne diese Härte, Unausgelassenheit, Kälte hätte es den Detroit-Techno-Sound überhaupt nicht gegeben. Dieser ließ sich Ende der 80er Jahre natürlich in andere Regionen verpflanzen, wo er eine regelrechte Revolution bewirkte, die konkrete spannungsgeladene Aura, die dem Sound zugrunde lag, konnte man jedoch nicht auf Vinyl mitliefern, das einen Output beim zumal englischen Publikum produzierte (tanzen mit 2000 oder 8000 Leuten), der mit dem nordamerikanischen Eingang nicht mehr so viel zu tun hatte. Insofern war das England von 1988 und 1989 wirklich gelobtes Techno-Land. 1989, noch vor dem Mauerfall, auch die erste noch sehr kuriose Love-Parade in Berlin auf dem Ku’Damm, in Deutschland bilden sich erste Zentren (Frankfurt und Berlin), Belgien und die Niederlande, auch die Schweiz kultivieren den Techno-Virus, nur die mediterranen Länder geben sich (noch) resistent.

 

„Elektroschock“ will jedoch keinen Gesamtüberblick über die Ausbreitungen, Institutionen, Hintergründe und Dekadenzentwicklungen dieser Bewegung geben, man bleibt immer schön nahe an der DJ-Kabine von Garnier, der seinen Parcours leidenschaftlich, aber dabei völlig unprätentiös bewältigt. Das Buch hat das äußerliche Format von Ulf Poschardts „DJ Culture“, von dem es sich anscheinend auch grafisch hat inspirieren lassen, abgedruckte Flyer zieren den breiten Rand, an dem auch zahlreiche Playlists einzusehen (und im Internet unter www.pedrobroadcast.com zu hören) sind, wichtige Botschaften werden schon mal fett doppelseitig wiederholt und der Lesefluss manchmal in ungewohnte Bahnen gelenkt. Für jeden Techno-Fan ist dieses Buch ein unbedingtes Muss, aber auch der in kritischer Distanz zu dieser eine ganze Lebenseinstellung einschließenden Musikrichtung kann auf den knapp 300 Seiten einiges lernen in Bezug auf kulturelle Mechanismen der kapitalistischen Aneignung und alles andere als situationistischen oder Warehouse-Party-mäßigen Entfremdung von ursprünglich als fulminanten gemeinschaftlichen Entdeckungen gefeierten Musikerlebnissen.

 

Dieter Wenk (08.05)

 

Laurent Garnier, David Brun-Lambert, Elektroschock. Die Geschichte der elektronischen Tanzmusik, aus dem Französischen von Oliver ilan Schulz, Höfen, Österreich, 2005 (Hannibal); Electrochoc, 2003 Paris (Flammarion)