26. August 2005

Neiden, später genießen

 

Es ist alles gar nicht so schlimm, denn das so genannte Monster, der Neid, hat auch seine guten Seiten. Sonst könnte man beispielsweise nicht in einem durchaus positiven Sinn von einer beneidenswerten Person sprechen, und zwar auf der Ebene, wie man von einer liebenswerten Person spricht. Ganz anders ist es jedoch, wenn man eine hassenswerte Person im Visier hat. Der Wert, der hier ins Spiel kommt, bleibt negativ. Richtig ist aber natürlich, dass der Neid seine größte Karriere als eine der Todsünden gefeiert hat. Wer verheiratet ist und seine Nachbarin begehrt und deshalb die unzugängliche Position des nachbarlichen Gatten beneidet, kann nur in der Hölle schmoren.

 

Das abendländische Sprachspiel mit dem Neid kennt von Anfang an beide Bewertungen: Auf der einen Seite wird er als Sünde oder auszumerzender Makel gebrandmarkt, auf dass eine Reinigung stattfinde und der Affekthaushalt sich glätte und plätte. Auf der anderen Seite bemerkt man, dass es durchaus Schätzenswertes in dieser scheinbar nur trüben Suppe zu fischen gibt. Man sieht das dynamische Moment, den Stachel, den Überwinder von Lethargie. Denn Neid kommt ja nur im Vergleich vor und auf. Die Vergleichsperson darf nicht zu weit von einem selbst entfernt sein (sozial, ökonomisch, altersmäßig), es müssen genügend parallele Stellen vorliegen, vor deren Hintergrund die für einen selbst dann natürlich nachteilige(n) Abweichung(en) sich zeig(en)t. Und dann kann es schon losgehen, wenn man ein Sportskamerad ist. Man muss ja nicht gleich Weltrekordambitionen im 5000-Meter-Lauf bekommen, aber beim nächsten Joggen lässt man sich halt nicht mehr überholen. Oder man hat ein halbes Jahr später auch einen tollen Waschbrettbauch. Oder in zehn Jahren auch 6 Kinder (ich muss zugeben, dass dieses Beispiel vermutlich nicht so überzeugend ist, aber wer weiß, wie die Sache in 20 Jahren aussieht).

 

Eigentlich passt der positive, Reserven freimachende, entfesselnde Neid sehr gut in unsere Gesellschaft, die für stuporeske Scheelsucht eigentlich gar keinen Platz mehr hat. Der negative Neid macht klein, lässt einen schrumpfen, man läuft als Jivaro durch die Straßen und hat überhaupt keine Chance, die vielfältigen Autobahnen dieser Welt benutzend zu genießen. Denn der Neid ist auch so ein kleiner Tod, von dem man wieder aufwacht und der einen zu neuen Ufern treibt. Der immer noch ausstehende Ruck durch die Gesellschaft: Könnte er nicht durch den Neid ausgelöst werden? Wäre das nicht ein würdiges politisches Geschäft, die beschäftigungslos herumliegenden und darbenden Neide zu bündeln und ihnen ein für alle befriedigendes Ziel zu geben? Wir könnten die Masken ablegen, hinter denen sich der finstere Geselle ja doch immer nur schlecht verbirgt und würden Ja sagen zu einem kommenden Ereignis, das für überwundene andere wiederum ein Sprungbrett abgeben könnte usw. Ist das nicht der Fortschritt?

 

„Nun“, ganz so enthusiastisch sieht Friedhelm Decher die Sache nicht, aber nach 180 Seiten zettelkastenvertäuter Philosophiegeschichte wird der Leser wissen, auf welcher Neidseite er stehen wollen würde, wenn er wirklich wählen könnte, denn auch die heutige Psychobiologie merkt an, dass der Neid ein wahrlich treuer Hund ist, der einen überall hin begleitet.

 

Dieter Wenk (08.05)

 

Friedhelm Decher, Das gelbe Monster. Neid als philosophisches Problem, Springe 2005 (zu Klampen!)

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

amazon