25. August 2005

Liebe Gangster

 

Auch wenn Vietnam-Kriegsteilnahme im Lebenslauf stehen sollte, ist noch lange nicht alles erlaubt. Da könnte ja jeder Kombattant kommen und seinem Einsatz ein kleines Trauma entlocken, um daraus Kapital zu schlagen. Die Frage ist natürlich, wie und vor allem wem gegenüber man das machen sollte. Sterben und ein bisschen psychotisch werden gehört schließlich zu den Unwägbarkeiten des Kriegs. „Taxi Driver“ hat auf eindringliche Weise gezeigt, wie schwer es ist, das Kriegsbeil zu begraben. Privat ist man immer noch mal anders drauf, als staatliche Kriegsbeendigungserklärungen zu verstehen geben. In „Hundstage“ wird der umgekehrte Weg gewählt, falls von so viel Dezisionismus überhaupt die Rede sein kann. Da wollen drei Ex-Vietnam-Kämpfer – sehr schnell sind es nur noch zwei, weil der Dritte aus welchen Gründen auch immer Schiss bekommt – einfach nur noch Ruhe haben, um sich ungestört ihren Kriegsneurosen widmen zu können. Es geht um eine Art von Frühverrentung in Form einer einmaligen Sonderzahlung.

 

Sonny und Sal wollen also eine Bank ausrauben. Sie gehen davon aus, dass das geraubte Geld eine Entschädigung gewisser Kriegserlebnisse darstellt. Rein utilitaristisch betrachtet mag der entstehende Schaden, den die Bank erleidet, so geringfügig sein, dass er gesamtökonomisch gar nicht ins Gewicht fällt, und so hätten immerhin Sal und Sonny eine ungetrübte Zukunft, stellvertretend für die, die sich nicht trauen würden. Aber leider ist der Utilitarismus nicht Staatsreligion und eine überfallene Bank ein strafrechtlich zu verfolgendes Delikt. Es kommt natürlich, was kommen muss, Sonny und Sal tun das zum ersten Mal und stellen sich entsprechend tölpelhaft an. Sie lassen kostbare Zeit verstreichen, gehen in großzügigster Weise auf kleine Wehwehchen ihrer Geiseln ein, und lassen es überhaupt an angemessener Kaltblütigkeit fehlen. Als der nicht allzu große Geldbeutel geschnürt ist, steht auch schon die Polizei vor der Tür. Wir wissen nicht, welche Taten Sonny in Vietnam für sein Vaterland getan hat, allein die folgenden Stunden – es sind wenig genug –, die er in der Bankfalle zubringt, reichen aus, um aus Sonny einen Helden zu machen.

 

Sal muss man sich als einen echten Kriegspsychotiker vorstellen; dass der Schauspieler wie Antonin Artaud zur Zeit seines Daueraufenthalts in diversen französischen Nervenkliniken aussieht, dürfte alles andere als ein Zufall sein. Und Sonnys Tat, der Banküberfall, ist nichts anderes, als die ausstehende Rehabilitierung eines geschundenen Soldaten. Irgendetwas von diesem Altruismus scheint sich auch schnell auf die sich um die Bank herum versammelten Menschenmassen übertragen zu haben. Als Sonny einmal aus der Bank heraus kommt, um mit einem Inspektor zu verhandeln, kommt er ohne Waffen, er selber dagegen im Visier ungezählter Pistolen und Gewehre – von den vielen Kameras der Presse zu schweigen. Sonny schafft es ziemlich schnell und äußerst publikumswirksam, dass die Knarren verschwinden – die Kameras dürfen natürlich bleiben. Eigentlich ist schon jetzt klar, dass Sonny und Sal keine Chance haben, aber wie sie diese nutzen, ist wirklich bewundernswert. Die in der Bank befindlichen Geiseln bekommen immer stärker ein je eigenes Gesicht, statt in dem generischen Terminus „die Geiseln“ unterzugehen. Fast kommt so etwas wie ein etwas ungewöhnlicher Alltag auf. Es herrscht nämlich – von welchem Punkt an eigentlich? – so was hier Deplaziertes wie Vertrauen, und zwar gegenseitig.

 

Das ist unglaublich rührend anzuschauen, und es wirkt umso mehr, als man ahnt, dass es am Ende nichts bringen wird. Sonny erlebt in dieser kurzen Zeit als Bankräuber verschiedene Kurzkarrieren, als Entertainer, Sozialhelfer, Verhandlungsführer, Stockholm-Syndrom-Entschärfer, Populist und Zukunftsentwerfer, um nur einige zu nennen (sein Beruf als zweifacher Gatte verdiente ein eigenes Kapitel: Sonnys ruchbar werdende Homosexualität wirft natürlich ein vernichtendes Licht auf seine Existenz als Vietnam-Kämpfer und bringt eine Aushebelungstechnik ins Spiel analog zu der, den Film 1972 spielen zu lassen, die Türme des World Trade Center (1973) am Anfang des Films aber doch schon komplett zu zeigen; auf der anderen Seite verliert Sal seine Artaud-Maske des gesellschaftlich unterdrückten Genies und steht da als reiner Idiot, der ganz gut Befehle ausführen kann).

 

Am Ende der Verhandlungen steht ein echtes Angebot. Sonny und Sal sollen zum Flughafen gebracht werden, wo eine Maschine auf sie wartet, die sie in ein Land ihrer Wahl bringen soll. Die dann noch mitgeführten Geiseln sollen anschließend wieder nach Hause geschickt werden. Aber leider macht sich am Ende doch Sonnys kriegerischer Dilettantismus bemerkbar, und so schnell, wie Sal eine Kugel in den Kopf bekommt, kann auch der erfolgreichste Vietnam-Kämpfer nicht angemessen reagieren. Sidney Lumet hat diesen schönen Film nach einer wahren Begebenheit gedreht, mit einem noch ganz und gar unmanieriert spielenden Al Pacino.

 

Dieter Wenk (08.05)

 

Sidney Lumet, Hundstage (Dog day afternoon), USA 1975, Al Pacino, John Cazale, James Broderick u.a.