Präparierte Revolution
Kunst und Sozialismus sind sicherlich keine Königskinder, aber sie kommen trotzdem nicht zusammen. Der massive Einsatz suprematistischer Kunst in der UdSSR direkt nach der Oktoberrevolution war ein einziges Missverständnis, auch wenn das Malewitschs Karriere erst mal förderlich war. „Überall waren rote und schwarze Quadrate, Dreiecke angebracht, auf Häusern, Zäunen, in Klubräumen, Lesesälen, auf Flugblättern, Manifesten und Agitations-Eisenbahnzügen.“ Das „Schwarze Quadrat“ als Massenagitationsmedium. 1921 war es mit dem Kunstnepp sowieso vorbei, dann kam die NEP, Lenins neue ökonomische Politik, die der Kunst von vornherein nur noch dienende Funktion zugestand. Die Kunst wanderte ab in die Dekoration, der Künstler wurde abgelöst vom Ingenieur, der jetzt fürs Ganze zuständig war. Es verwundert deshalb nicht, wenn in diesem ersten sowjetrussischen Sciencefiction ein Ingenieur, der Weltraumschiffkonstrukteur Loss, die Hauptrolle spielt.
Allerdings merkt man, dass die Revolution noch nicht lange her sein kann. Er ist nämlich fast krankhaft eifersüchtig auf seine hübsche Frau Natasha. Der neue Mieter in ihrem Haus, ein von hohen Parteikadern gehätschelter Nichtstuer, tut alles, um die Paranoia des Wissenschaftlers in Bahnen zu lenken, die empirische Beobachtungen gestatten und den Anfangsverdacht zu sättigen imstande sind. Aber natürlich gilt auch in diesem Fall wie sonst bei Eifersucht: Nur der, der selbst Dreck am Stecken hat, hat Anlass zu Eifersucht. Loss hatte nämlich gerade seltsame Nachrichten aus dem All empfangen, die er zwar nicht decodieren kann, die aber seine Fantasie in Bewegung setzen. Wer weiß, was es beispielsweise auf dem Mars nicht alles zu sehen gibt? So selbstgenügsam sind wissenschaftliche Forschungen nie. Irgendwann fordert jeder seine kleine Belohnung. Gute Gründe, in Moskau zu bleiben, gibt es nicht, die Zeiten, in denen Feste gefeiert wurden, sind vorbei, die suprematistischen Fahnen schon lange wieder eingezogen, die Vision ist der handfesten Ideologisierung gewichen.
Eine gewisse Ironie liegt also darin, dass ausgerechnet auf dem Mars, einem von harter Frauenhand, eben jener Aelita, geführten Sklavenstaat, die konstruktivistischen Errungenschaften einer Alexandra Exter und ihrer Genossen und Genossinnen Einzug hielten. Leider muss man also sagen, dass Kunst in diesem Fall nicht auf die gesellschaftliche Wirklichkeit durchgeschlagen hat, oder es zeigt sich einfach nur die ziemlich desillusionierende Wahrheit, dass Kunst doch eher mit Dekoration zu tun hat als mit umkehrender Kraft. Das assimilierende Maul des Vielfrasses Gesellschaft ist unerschöpflich. Trotzdem sieht das immer noch ganz lustig aus, die Klamotten, die Hüte, die Fernrohre, die Türen, die sich wie Linsen in Fotoapparaten öffnen, die ganze kubo-futuristische Montur, die etwas später auch Fritz Lang nicht ganz kalt gelassen hat. Erstaunt ist man allerdings dann doch, dass so elementare zwischenmenschliche Schnittstellen wie zwei sich berührende Lippen mit all dem erotischen Brimborium, der dazu gehört, völlig unbekannt zu sein scheinen. Marsianer küssen nicht. Sie geben einem auch nicht höflich die Hand, und wenn sie von Menschenhand irdisch beglaubigte Verhaftungsorder überreicht bekommen, nehmen sie die falschen Leute fest. Was jedoch viel besser klappt auf dem Mars als anderswo: die Revolution. Endlich müssen die Leute nicht mehr so viel lesen, um Bescheid zu wissen. Eine kurze Rede, und die Sache ist durch.
Wenn da nicht Aelita wäre, deren Felle wegzuschwimmen drohen. Aber Loss entscheidet sich mannhaft für den Fortschritt und gegen die Liebe, jedenfalls die auf dem Mars. Es war eh alles Schall und Rauch, die Liebe und die Revolution eine Einbildung von Loss (das hat den Sowjetkadern natürlich gar nicht gefallen), Einbildung aber auch der Mord an seiner eigenen Gattin, und so kann dieser seltsame Film dann doch noch wie ein Hollywood-Movie enden.
Dieter Wenk (08.05)
Yakov Protazanov, Aelita (The Queen of Mars), UdSSR 1924 (DVD Image Entertainment)