Klassische Hast
Pierre Dachenay gehört zum publizistischen Jetset. Freier Autor in Paris mit eigenem Büro und Sekretärin, verheiratet seit 15 Jahren, eine Tochter, Sabine. Sein jüngstes Buch ist frisch aus der Druckerpresse, „Balzac und das Geld“. Eine Lesereise führt ihn nach Lissabon. Man sieht kurz eine dieser Straßenbahnen, wie sie den Berg hochklettert, sie wirkt abgewrackt, kurz vor dem Zusammenbruch, diskrete Dokumentation ohne Nostalgie wie später bei Wim Wenders. Während des Flugs haben Dachenays Augen kurz geleuchtet. Eine Stewardess. Hündisch-ergebener Blick seinerseits, ich mach alles, was du mir sagst. Zufälligerweise übernachten Pierre und die Stewardess, Nicole, im gleichen Hotel, wo sie sich auch noch zufälligerweise begegnen. Nicole weiß, wer Pierre ist, schätzt die literarische Aura, auch wenn sie als Leserin eher unbeleckt ist. Eine gemeinsame Fahrt im Fahrstuhl, ein „Versehen“, erlaubt Pierre, einen Blick auf die Nummer des Hotelzimmers von Nicole zu werfen, kurze Zeit später ruft er sie an. <?xml:namespace prefix = o ns = "urn:schemas-microsoft-com:office:office" />
Das Spiel beginnt. Sie sagt, dass es eigentlich keinen Anlass gebe, in der Hotelbar noch etwas zu trinken. Kurze Zeit später ruft sie ihn an, dass sie doch gerne, vielleicht morgen… Direkt anschließend eine sehr schöne Szene, Pierre geht nach dem Telefongespräch an die Tür, schaltet das Licht aus, wartet kurz, und betätigt dann alle verfügbaren Lichtschalter. Die Frau bringt das Licht. Es ist nicht die eigene. Die Nacht darauf werden die beiden selbige bereits zusammen verbracht haben. Und zurück in Paris hat Pierre eine Geliebte. Zu Hause wahrt er die Fassade, aber man bemerkt die Anspannung. Er kann das Verhältnis nicht genießen. Seine Frau beklagt sich, dass sie nicht zusammen verreisen, dafür lässt sich Pierre dazu herab, in die Provinz, nach Reims, zu fahren, um dort einen Film über André Gide vorzustellen, als Anlass, mit Nicole ein paar Tage auf dem Land, wie es so schön heißt, zu verbringen.
Der Aufenthalt erweist sich als komplizierter als angenommen. Zwei Hotels, hungrige Provinzler, die stolz auf den Literaturstar sind, Verpflichtungen der Präsenz über die Anmoderierung hinaus, die Unmöglichkeit, bei all dem Nicole zu integrieren, die in den Straßen von Reims herumirrt und von sexsüchtigen Kleinstädtern angemacht wird – praktisch im Beisein Pierres, was dem Ganzen eine unerträgliche Note verleiht. Pierre ist zu schwach, das alles einfach hinzuwerfen und mit Nicole abzuhauen. Er ist zu berechnend, das merkte man schon, als er in einer anderen Situation in Orly ein Telegramm, das er an Nicole schicken wollte, zerknüllt, weil die Lage plötzlich eine andere war. Den Inhalt des Telegramms teilte er Nicole jedoch nicht mit: dass er ein anderer Mann durch sie geworden sei. Das kommt jetzt nicht über seine Lippen.
Letztlich belastet ihn eher ihre faktische Präsenz. Alles, was nicht zu einem unausgesprochenen Bild „der Geliebten“ passt, wird gegen sie verwendet. Wenn Nicole im Lokal zu laut spricht. Wenn ihr das alles zu schnell geht, die Trennungsabsichten von Pierres Frau, ohne dass diese von dem Verhältnis wüsste, die Immobilienrecherchen Pierres, die Heiratsabsichten. Nicole merkt als erste, dass irgendwas nicht stimmt. Dass eine Affäre eine Affäre ist und kein Startbrett fürs Heiraten, wo man erneut (Pierre) oder zum ersten Mal (Nicole) mit Zwängen konfrontiert würde, die einen wieder affäre-affin machten. So schnell könnte man gar nicht zum Standesamt gehen. Das Ende ist abrupt, in jeder Hinsicht. Nicole stellt die Dinge klar, Pierre hat dann keine Lust mehr, weiterzumachen, Pierres Frau sieht verräterische Bilder und macht das Gewehr klar. Nach der Tat liegt ein maliziöses Lächeln auf ihren Lippen.
Dieter Wenk (08.05)
François Truffaut, La peau douce (Die süße Haut), F 1963, Jean Desailly, Françoise Dorléac, Nelly Benedetti u.a.