14. August 2005

Breaking the hearts

 

Deutschland ist zu diesem Zeitpunkt so neu, dass man es nicht zeigen kann. Aber gleichzeitig ist es auch zu Ende mit ihm: Finis Germaniae. Was macht ein Regisseur in einer Situation solchermaßen verunmöglichter Abbildbarkeit? Er geht in die Archive. In die eigenen und in die der Geschichte. Er erinnert sich, dass er in den 60er Jahren einen Spionagefilm gedreht hat, „Alphaville“, mit Eddie Constantine als Lemmy Caution. Also stellen wir uns vor, dieser Lemmy Caution habe weiter spioniert. Aber jetzt ist er arbeitslos. Fall der Mauer, Wiedervereinigung, Ende des kalten Kriegs. Er tritt seine Reise an, die von Ost nach West. Er ist orientierungslos, weiß nicht, was er machen oder wie er seinen Weg finden soll. Andere können ihm auch nicht weiter helfen, z. B. der Hegel-Übersetzer, der von Zischler gespielt wird. Es gibt auch keine Tipps von der List der Vernunft, die sich in ein Übersetzungsproblem verwandelt hat.

 

Also überlassen wir uns dem Strom der zeigbaren Bilder, untermalt von klassischer Musik im Genre von Trauermärschen und Requiems. Immer wieder die Bilder des Wannsees, aber der Film ist in dieser Hinsicht sehr diskret, einmal ist Hitler zu sehen, gestützt von Eva Braun (?), er sieht sehr kaputt aus. Oder Eddie wandert durch irgendwelches Ödland oder durch Ruinen und zitiert dabei Hölderlin, Zeilen aus „Hälfte des Lebens“ /Wo nehm’ ich, wenn es Winter wird... ). Sehr schön übrigens, wenn Eddie deutsch oder französisch spricht. Seine traurige Stimme wie Geschichte gewordene Phonetik. Ein Raunen wie aus der dunkelsten und gleichmütigsten Kammer des Fatalismus. Dagegen Zischler, dieses Schneidige, Offiziersmäßige, diese Habachtstellung der aus Ruinen auferstandenen Lettern. Wenn einmal diese Töne angeschlagen sind, ist nicht mehr wichtig, was da gesagt wird, denn alles verdichtet sich zu Musik, auch die einzelnen Sektionen der gezeigten Bilder, die einen Katalog von Variationen bilden zu dem einen Grundthema der Trauer und Einsamkeit. Leporello des Verlusts, in Brechtscher Weise anmoderiert durch die immer noch nicht angegraut scheinenden Tafeln, die wir alle aus „Mutter Courage“ kennen.

 

Aber schon lange natürlich auch bekannt und durchexerziert von Godard selbst, seine in einzelne Bilder aufgeteilten Filme, nur wirken die weißen Buchstaben auf schwarzem Grund hier ein wenig wie Grabmäler, die man ansieht wie aus einer schlaffen Sehne der Zeit. Denn das ist das ein wenig Verrückte an diesem Film, dass man durch diese Landschaften des Todes und der längst vergangenen bewegten Bilder seltsam bewegt wird und sich ein Gefühl einstellt, das nichts anderes als die reine Nostalgie ist, ohne dass wohl die meisten Betrachter von sich sagen könnten, dass das, was da gezeigt wird, jemals ein Ort war, in dem sie sich bewegten. Denn auch Eddie Constantine ist nur Lemmy Caution und Godard wäre nicht Godard, wenn er sich nicht auf sich selbst zurückbiegen würde: Nouvelle Vague.

 

Dieter Wenk (02.01)

 

Jean-Luc Godard, Deutschland Neu(n) Null, F 1991