10. August 2005

Popperliteratur?!

 

Amüsiert liest man in Internetforen die verzweifelten Hilferufe von Deutschlehrern, die wissen wollen, was Popliteratur denn nun eigentlich ausmacht. Das weiß natürlich niemand so richtig. Auch wenn man sich sicher ist, dass es mit diesem Phänomen zumindest jetzt vorbei sei. Mit dem Hinweis auf jugendkulturelle Accessoires ist die Sache auf jeden Fall nicht getan. Moritz Baßler hatte zwar vollkommen Recht, in seinem Buch "Der deutsche Poproman" auf die Eissorten und Hosenmarken hinzuweisen, ohne die man keinen Meter gehen kann, wenn man nicht der sozialen Ächtung verfallen will. Diese Probleme müssen aber keine jugendkultürlichen sein. Obwohl mit pubertärem Verhalten schon einiges erklärt wäre - also mit Jugend.

 

Verwunderlich ist es daher, wenn der Reader "Pop-Pop-Populär. Popliteratur und Jugendkultur" die Popliteratur ohne Wimpernzucken mit Jugendkultur in Zusammenhang bringt. Populärkultur ist Alltagskultur. Popkultur ist aber eine globalisierte Medien-Kultur. Der von Johannes Pankau zusammengestellte Band versammelt Texte von 16 Autoren und ist um eine hermeneutische wie historische Herleitung des Phänomens Popliteratur bemüht. Daher die vielen Überbrückungen, zwischen Themen wie Jugendgruppen oder Widerstandsbewegungen, die aber allesamt nicht Thema dieser seltsamen Art globalisierter Individual-Literatur sind.

 

Popkultur ist Ausdruck der narzisstischen Struktur der Moderne, und zwar unabhängig vom Alter. Eine Grenzverwischung zwischen den Generationen ist zu beobachten. Die 60er und 70er-Jahre, in diesem Band als Pop 1 bezeichnet, erfanden ein rebellisches Image als Gegenkultur. Pop 2 denunziert diese Gegenkultur des Rebellischen als Pose. Infolge der Gender-Debatten ist man sich sicher, die Art der Zuschreibungen relativieren zu können. Dass man damit mehr verliert als gewinnt, ist mittlerweile deutlich. Der eigentümliche Konservatismus, der aus der Rebellion gegen die Rebellion der 60er resultiert, ist schlapp und leer. Pop 2 hat in seinem denunziatorischen Impetus bald keine Themen mehr, die er noch außerhalb seiner selbst verraten könnte, und zerfleischt sich nun selbst. Das Versprechen auf Anarchie und Authentizität, welches den Mythos speist, hat sich in der medialen Selbstinszenierung, in der Pose des bewusst Posierenden selbst einen zirkulären und blechern klappernden Heiligenschein verpasst. Die Kompensation des Banalen in der Popliteratur, die zugleich auch eine Kritik am Banalen sein soll, gelingt nicht. Popstars wie Madonna sind in der Lage, das ständige re-modeling als authentisch zu vermarkten, allerdings nur, weil sie keinerlei ironische Rückzieher in ihre Auftritte einbauen.

 

Reflexionen über Pop finden erst spät Eingang in die Feuilletons und noch später in die Kulturwissenschaften. Für Popmusik gibt's eigene Magazine. Erst mit der Popliteratur entwickelt sich das Interesse der großen Tageszeitungen. Das führt dann natürlich zu ulkigen Missverständnissen, wenn die ehrwürdigen Feuilletons plötzlich meinen, auch kompetent über Popmusikphänomene schreiben zu können. Die daraus resultierenden Artikel über i-Pod und veränderte Lebensgewohnheiten sind vor allem peinlich. Denn Pop 2 beschwört ja gerade das immer Gleiche und nicht die Veränderung.

 

Das Problem von Popliteratur ist vor allem ein selbst beschertes. Der kritische Ton von Musikzeitschriften ist leicht nachzuahmen. Und die ersten Stufen der Reflexion sind spielend erklommen. Nun aber, und das ist das Drama der Popliteratur gegenüber der Musik, die in einem anderen Medium ihre Entwicklungen vorantreiben kann, finden die Literaten nicht mehr von der Rhetorik des kritisch Selbstreflexiven weg. Man hat sich selbst korrumpiert. Und wenn das anfangs noch lustig war, ist es mittlerweile das untrügliche Zeichen für die Unhaltbarkeit von pseudointellektuellen, pseudokünstlerischen und pseudokonservativen Pseudoproblemen, es sind postmoderne Probleme, wie sie schöner nicht sein können - es gibt sie gar nicht.

 

Noch einmal zurück zu den ratlosen Deutschlehrern. Die in dem Reader versammelten Beiträge zeichnen sich durch ihre klaren Zuweisungen aus, für Popliteratur finden sich zwar keine speziellen Kriterien, aber der Reader ist dennoch hervorragend zu gebrauchen und zwar in einer klassisch literaturwissenschaftlichen Manier. Denn die Literaturgeschichte hat unzählige Schubladen bereits aufgezogen, wohinein man diese Texte der Pop 2-Generation verstauen kann. Also Goethes "Werther", Plenzdorfs jungen W. und Stuckrad-Barre mit seinen selbstverliebten Selbstmordfantasien. Oder Entwicklungsromane wie Stifters "Nachsommer" zusammen mit dem Ende aller Kritik bei der "Generation Golf" von Florian Illies.

 

Gustav Mechlenburg

 

(Erstveröffentlichung: Literaturkritik.de)

 

Johannes G. Pankau (Hg.): Pop-Pop-Populär. Popliteratur und Jugendkultur. Aschenbeck & Isensee Universitätsverlag, Oldenburg 2004. 224 Seiten, 14,80 EUR. ISBN 3899951492

 

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