8. August 2005

Regelwerk

 

Geschwätzigkeit kann man den Filmen Kitanos nicht nachsagen. Sie spielen ja nicht im Friseursalon. Es wirken auch keine Frauen mit, mit denen man sich auf Beziehungsprobleme einlassen müsste. Hier herrschen so strenge Regeln wie beim hl. Paulus. Was das allermeiste sehr einfach macht. Was aber durchaus wehtun oder sogar tödlich enden kann. Männer. Verbrechen. Yakuza. Rituale. Anzüge. Ernste Gesichter. Eine ‚Familie’ bereitet ein Verbrechen vor? Oder sie wird dabei gezeigt, wie sie ihre Kunden abzockt? Die Probleme, die sich daraus ergeben? Spannungsbögen für den Zuschauer? Nein. Kitano bleibt konsequent auf der Innenseite der Yakuza, alles, was passiert, passiert innerhalb des Systems, Anlässe wachsen intern, zünden, führen das aus, was ausgeführt werden muss und bringen Vernichtung. Und je besser sich die Familie selbst versteht, desto weniger Worte müssen fallen, um die Maschine anzulassen. Wenn jedoch zwei Familien sich nicht verstehen, die Repräsentanten des freundlichen Übernahmevorhabens zurückgeschickt werden, gibt es noch ein paar unfreundliche Grimassen (das muss man sehen und hören!), und dann wird es laut. Yamamoto (Kitano) gehört zu den Verlierern. Da die Konsequenzen klar sind, muss er fliehen.

 

Er geht von Tokio nach Los Angeles. Dort lebt sein Halbbruder, der mit ein paar Kumpels vom Drogenhandel lebt. Die Härte Yamamotos geht ins Auge. Unumstößlich wie eine Comicfigur. Das merken zunächst die kleinen Ganoven um den Halbbruder, danach die rivalisierenden Einheiten, die es mit ihm zu tun bekommen. Die kleine Drogengang vergrößert sich, ihre Ansprüche wachsen. Dann eine Spiegelsituation: einer weiteren japanischen Gruppierung wird eine Familienerweiterung angeboten. Auch hier schlägt ein Chef aus. Die Gelegenheit für den Gehilfen Yamamotos, seine absolute Hörigkeit und Gesetzestreue, das ist eins, unter Beweis zu stellen. Er erzwingt mit seinem selbstmörderischen Handeln das Zusammengehen der beiden Gruppen. Phantastisch diese Logik: Es ist alles mit rechten Dingen zugegangen, jeder Zug, die des Leibwächters wie des gegnerischen Chefs, algorithmisch abgesegnet, da gibt es keine Zufälle, immer nur Entweder-oder-Entscheidungen, und dann liegt der Leibwächter tot auf dem Boden. Kurzer Schreck des Gegners, nicht weil er Mitleid hat, sondern weil die weitere Geschichte völlig klar vor ihm steht. Er wählt nicht die mögliche eigene Vernichtung, sondern die Kollaboration. Der Einfluss der zusammengewachsenen Familie wächst, aber auch der Gegner, der zugleich immer undurchsichtiger wird.

 

Schließlich hat es Yamamoto am Ende der Geschichte mit der italienischen Mafia zu tun. Mehrere Nummern zu groß. Die Italiener scheinen Übung mit solchen Auseinandersetzungen zu haben, denn sie können japanisch schreiben; das machen sie allerdings mit toten japanischen Yakuza: Der Tod fügt sich aus menschlichen Lettern zusammen. Und bei aller tödlichen Determiniertheit schafft der Film es am Ende, die beiden Parallelen Ehrenkodex und: man kann es Freundschaft nennen, zusammenzuführen, was aber paradoxerweise wieder nur über den Tod laufen kann. Denn Freundschaft, Treue kann in diesem Milieu nur gezeigt werden, sie lässt sich nicht austauschen, der einzige Systemwechsel, den das System erlaubt, liegt in der Beendigung des Systems. Im Tod. Und sei er simuliert.

 

Dieter Wenk (01.01)

 

Takeshi Kitano, Brother, USA/J 2000