2. August 2005

Softporno

 

 „Eines der reizendsten Bücher“, so Jacques Lacan in seinem 2. Seminar, im Februar 1955. „Ein kleines pornographisches Buch“, womit der verrückte Meister kluger kranker Seelen ein wenig übertrieben hat ­– andererseits, 1955... Ein Buch, so scheint es, dass, anders als in seiner Einschätzung von Léon Bloys ‚femme pauvre’, auch Nicht-Analytiker verstehen können sollten. Denn James Joyce, der hier ein bisschen rumgeistert, tritt beileibe nicht auf in seiner Funktion als „sinthom“, sondern lediglich als revolutionäre Parole aufständischer Iren, die sich in Dublin von der britischen Krone befreien wollen und sich hin und wieder mit dem Spruch ‚Finnegans Wake’ Mut machen.

 

Ein paar Daten: Der hier geschilderte Aufstand, der sich in einem Postamt abspielt, findet 1916 statt. Finnegans Wake erscheint 1939 als Buch, Queneaus Buch 1948, Ulysses 1922. Bei so viel Zahlen tun auch Fußnoten nicht weh, ganz im Gegenteil, manchmal brechen sie auf wie florale Granaten, die umso mehr den Mund zum Lachen aufreißen, je behutsamer die Note gesetzt scheint. Die sieben aufständischen Iren machen nämlich irgendwann die Entdeckung, dass sie das Postamt nicht ganz von der Belegschaft gereinigt haben. Just im Moment der Eroberung findet sich die Angestellte Gertie Girdle auf den Toiletten ein – und kommt nicht mehr raus, da sie verständlicherweise Angst hat, dass ihr etwas angetan wird. Natürlich wird sie dann doch entdeckt. Sie muss sich rechtfertigen, was sie auf dem Klo gemacht hat, die Arme, aber mit der Zeit, die Dame hat Charme, kehrt sich das Blatt um. Man hat Respekt vor der Frau (eine frühere hatte man kurzerhand massakriert). Man diskutiert mit ihr, so auch über den Glauben, und sie bekennt, auch wenn sie hin und wieder ein „Gott schütze den König“ fahren lässt, dass sie „agnostisch“ sei, also eigentlich nicht an Gott glaube. Jedenfalls scheint Caffrey, einer der Rebellen, beeindruckt, er sagt: „Heute lernen wir neue Wörter [agnostique].

 

Man sieht, dass man im Land von James Joyce ist.“ Worauf eben jene wunderbare Fußnote angefügt wird, in der es heißt: „Hier liegt ein leichter Anachronismus vor, aber Caffrey, weil er ja Analphabet ist, konnte 1916 noch nicht wissen, dass ‚Ulysses’ noch nicht erschienen war.“ Gertie ist zwar Agnostikerin, aber, wie oben bereits zitiert, feste Royalistin. Und so hört sie es gar nicht gerne, dass diese republikanischen Terroristen den britischen König nicht nur nicht anerkennen, sondern einfach finden, dass er ein Arschloch ist. Und auch wenn es möglich ist, dass Gertie die „Dubliners“ kennt (1914 erschienen), so antwortet sie darauf doch lieber, ob sie es nun weiß oder nicht, mit Dostojewski, wenn sie nämlich resigniert zugibt: „Wenn nun aber der König von England ein Arschloch ist, dann ist alles erlaubt.“ Genau, das steht, mit einem anderen Vertreter des Welttheaters, in den ‚Brüdern Karamasow’, wo es sinngemäß heißt: Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt. Worauf Lacan gerne erwidert, dass umgekehrt, gerade wenn Gott nicht existieren würde, nichts mehr erlaubt sei („die Neurotiker zeigen uns das alle Tage“).

 

Queneaus kleines Buch erzählt die Abenteuer Gertie Girdles mit diesen Iren, wirkliche Abenteuer, denn Gertie zieht Konsequenzen aus ihrem Syllogismus, sodass es am Ende, auch wenn alle (Aufständischen) tot sind, nur Gewinner gibt. Und  der Titel – stimmt doch, oder? Man ist immer zu gut zu den Frauen.

 

Dieter Wenk (01.01)

 

Raymond Queneau : Man ist immer zu gut zu den Frauen, Berlin 2001 (Wagenbach); On es toujours trop bon avec les femmes, Paris 1947