31. Juli 2005

Schuld und Berühmtheit

 

Keine Dokumentation, eine so genannte Milieustudie, nach tatsächlichen Begebenheiten. Wie sie die Tagebücher aufschrieben, die Diaries von Jim Carroll, dem Helden des Films. Der erst durch die Hölle gehen musste. Der ohne die Hölle nicht weiter aufgefallen wäre. Wie Tausende andere seines Milieus. Jim spielt in einem Basketballteam in einem katholischen College. Er und seine Kumpel sind wirklich gut. 15, 16 Jahre alt, große Klappe, hoch motiviert, teilen auch schon mal aus, kleine Diebstähle, Elternhaus, na ja, nicht allerbeste Herkunft, das lässt einiges ahnen. Wenn Väter fehlen, Mütter anschaffen oder einfach nur nerven. Aber das, was alles, also die kommende Hölle mitsamt Wiederauferstehung als Künstler, ins Rollen bringt, sind natürlich die Drogen. Rauchen tun sie natürlich schon vorher. Kokain (wer verführt? natürlich eine junge Lady), dann die erste Heroinspritze. Alles unter Kontrolle? Klar. Immer noch? Heh, Alter, haste mal 10 oder zwanzig Dollar?

 

Ah ja, es geht los. Die andere Abhängigkeit. Der Kreislauf nebenan. Die Gesichter fallen langsam von sich ab, bekommen diese Drogentristesse, der Sport ist auch nicht mehr das, was er mal war, der Trainer traut sich endlich, sein Coming-out zu vollziehen, jetzt, wo er den Wissensjoker in der Hand hat, hilft trotzdem nichts, und dann natürlich Mama, wie kannst du das deiner Mama antun, sie schmeißt ihn raus, er, Jim, ist wirklich nicht mehr nett, er verhält sich nicht mehr wie ein Sohn, aber das kann keine Mutter lange aushalten, auch wenn sie die Toughe nach außen hin agiert, mit dem 10-Dollar-Schein in der Hand für ihren Sprössling, den sie ihm nicht gibt, bricht ihr das Herz entzwei – später natürlich dem heimkehrenden Sohn selbst. Aber zuvor muss dieser noch richtig leiden, ein angefangener Entzugsversuch, dann zu sehen, wie ein Kumpel von der Polizei erwischt wird, wie ein anderer Kumpel einen Latino-Dealer vom Haus stürzt, weil dieser schlechte Ware verkauft hat. Und Jim selbst wird auch geschnappt, wegen mehrerer Delikte, sechs Monate Gefängnis, die er damit verbringen wird, seine Tagebücher zu lesen, die er während dieser ganzen kriminellen und präkriminellen Zeit geschrieben hat.

 

Nach seiner Entlassung wird er als Dichter berühmt werden. In einer letzten Einstellung sieht man ihn in einem unbestimmten Raum, wie er von sich zu erzählen scheint, man weiß nicht recht, zu wem, dann ist sein Text zuende, Lichter gehen an, die Kamera schwenkt in den Raum, der voller Zuschauer ist, man klatscht, Leute, nehmt euch ein Beispiel, wenn ihr berühmt werden wollt, müsst ihr erst mal ziemlich viel Scheiße bauen, aber das Kino des Lebens wird dafür sorgen, dass nicht ihr zu den wirklichen Opfern gehören werdet, sondern dass das Schicksal genau euch auserwählt hat, um von den Grausamkeiten des Lebens, aber auch von seinen späteren Genugtuungen zu sprechen und zu schreiben. Oder wie jetzt?

P.S. Irgendwie fragt man sich ja doch, wie so was geht, dieser flachbrüstige bubihafte L.d.Caprio, zwei Jahre später in Titanic mondialer Held aller Frauen (wirklich aller Frauen?, aber egal), dank(e) Kino.

 

Dieter Wenk (01.01)

 

Scott Calvert, Jim Carroll – In den Straßen von New York, USA 1995, Leonardo DiCaprio u.a.