30. Juli 2005

Wagen zwei

 

Judith wohnt in einem schönen Haus, fährt einen flotten Käfer und studiert BWL. Sie hat zwei Freundinnen, die studieren auch BWL. Die sind ziemlich faul. Judith hat auch einen Freund. Der mag Sport ganz gern. Selber machen und auch im Fernsehen. Und Judith hat eine Schwester, die im gleichen Haus wohnt – es ist das von ihrem Vater, einem Künstler – und die Schwester hat schon zwei ganz entzückende Kinder, die sich auch schon ganz alleine beschäftigen können. Zum Beispiel mit nem Wasserschlauch, den sie mit ins Wohnzimmer nehmen. Der Schlauch tanzt dann da wie ein besoffener Derwisch. Eigentlich sollte Judith auf die Kinder aufpassen. Jetzt ist alles nass. Auch die Bilder von Papa. Schade. Die Schwester ist richtig sauer. Scheint nicht zum ersten Mal passiert zu sein. Die Nachbarin (Irm Herrmann) kommt auch gleich vorbei, um sich zu beschweren, Judith kennt das schon. Geht halt bisschen viel kaputt, was Judith so anfasst. Der andere Nachbar, den Judith für einen Hausmeister hält, der aber in Wahrheit Bühnenbildner ist, ist zurückhaltender, aber immer sehr hilfsbereit. Er mag nämlich Judith ziemlich gern, um das mindeste zu sagen. Und er fragt sie ganz gern, wie es ihr geht. Eigentlich geht’s gerade beschissen – Freund kaputt, Uni läuft nicht gut –, aber natürlich sagt sie wie jeder gut erzogene Mensch, dass es gut geht.

 

Judith sitzt mit viel Fresszeug vorm Fernseher. Da klingelt mal wieder das Telefon. Ein Freund von früher ist es, er ist an der Oper, Sänger, wie es ihr geht, och gut, lass mal treffen, okay, hallo, wie geht’s, was macht deine Malerei, schluck (total vernachlässigt, hat früher mal gemalt: talentiert, wie die Ausstellung ihres Vaters beweisen wird, wo irrtümlich ihre Bilder mitaufgehängt sind), lass mal morgen treffen, du machst ein Portrait von mir und dann reden wir über alles. Ach, denkt sie, über alles, denn sie ist wieder oder immer noch in ihn verliebt, mehr als eine Muse, aber hallo, morgen kommt er schon, sie stellt sich den Wecker und fängt an zu malen wie eine Meisterin, die sie im Grunde ja schon ist. Aber statt ihm kommt der Ex vorbei, bisschen vögeln vor der abendlichen Party, aber die schmeißt ihn raus. Trifft ihren neuen Schwarm in der Oper, plötzlich taucht da noch so ne Frau auf, schwanger, das ist seine Frau, scheiße auch. Inzwischen laufen die Vorbereitungen für eine Künstlerin auf Hochtouren, für die Judith die Steuererklärung gemacht hat, eine ihrer Freundinnen ist die Tochter.

 

Die Künstlerin hat son schwulen Dekorateur, der ziemlich rumnervt und alles besser weiß und einen ziemlich schlechten Geschmack hat. Das merken auch die Kids, die mal wieder ran dürfen. Diesmal mit dem Gabelstapler. Keine griechische Säule wird ausgelassen. Der Dekorateur kann’s nicht fassen. Das ist die Chance des Nachbarn, der jetzt sein Froschdasein beenden darf und erste Trümpfe auffährt. Er hilft Judith in der Nacht mit den Jungs vom Bühnenbild, nach ihrem Geschmack die Ausstellung neu zu dekorieren. Ein Gewinn, in der Tat. Finden alle, auch die Künstlerin, nicht dagegen der schwule Assistent, der aber am Ende doch mitschleimt, er als einziger. Der Nachbar hat nur ein Problem, er ist sehr schüchtern. Beim ersten Mal vergeigt er es. Sie hätte schon gewartet. Dann fährt sie erste mal tot traurig weg, weil auch ihre Schwester bisschen angenervt ist, außerdem zu viele Kosten mit dem Haus. Aber dann wird ja alles gut, der Nachbar holt sie aus der Melancholie am See, blendenden Empfang, zu schön um wahr zu sein. Welcome home.

 

Dieter Wenk (12.00)

 

Ulli Baumann, Männer und andere Katastrophen, D 1998, mit Heike Makatsch, Ulrike Folkerts u.a.