28. Juli 2005

Das Begehren der Analytikerin

 

Einladung an alle, frühmorgens, wer halt schon auf ist, und mal wieder aufgewacht ist mit dem Gefühl, es sei jetzt Zeit, den Mund aufzumachen, weil dieses kleine Problem immer noch unbearbeitet rumort und nervt. Kein Analytiker, kein Gruppentherapeut samt Leidensgruppe und Mitleidsteam, sondern ein Appell im Radio, hallo, wo ist dein Problem, ja, die Frau weiß sofort, wo das Problem sitzt, und sie weiß, was zu tun ist, alles in drei vier Satzhinundhers, wunderbar, das macht auch all denen Mut, die da nur zuhören, aber genau in der gleichen Kacke sitzen. Aber zu wem geht der Analytiker selbst, der Gruppentherapeut, der Rundfunkmoderator des Schmerzes und der schnellen Abhilfe? Blockade? Notwendigkeit der Einbahnstraße? Schon zu viel Erfahrung, um auf eben das kleine Glück noch hoffen zu können, zu dem man den anderen permanent rät? Also sie sträubt sich, unsere gute Katja, sie mag nicht mehr, und das glaubt man ihr aufs Wort, nur nicht ihr schwuler Bruder, der ihr zu einer Kontaktanzeige rät, vier fünf Totalausfälle, dann erscheint der Einzige, Liebe auf die ersten Blicke, er ist Zahnarzt, und los kann’s gehen. Eine Komödie.

 

Wo lernt man am ehesten Leute kennen, vielleicht sogar Freunde fürs Leben? Richtig, im Fitnessstudio. So was kann dann richtig schnell gehen, vielleicht vor allem unter Frauen. Einladung zum Essen nach Hause. Und wer ist auch da? Der werte Gatte, der kein anderer ist, als unser Zahnarzt, der Katja gewonnen hat, nur ihr vergessen hat zu sagen, dass er verheiratet ist. Ach, immer wieder schön, in diese völlig überraschten Gesichter zu sehen, wenn das Schicksal mal wieder zu geschlagen hat, nachdem es sich so gut anließ. Katja ist sauer. Der Arzt schafft es, sie erfolgreich zu behandeln. Die Liebe ist wieder da. Freilich auch das Problem: wie sag ich’s der Gattin beziehungsweise der Freundin? Denn, nicht wahr, Freundinnen sagen sich alles, totale Ehrlichkeit, Vertrauen, die es eben nur zwischen Frauen geben kann, Verstehen, was Männer nicht nachvollziehen können etc. Mittlerweile hat sich auch der schwule Bruder in den gewinnenden Arzt verliebt, für den er seinen leicht prolligen, dafür körperlich durchaus überzeugenden Lover aufgegeben hat. Das überzeugt nicht so richtig. Nur weil beide Oscar Wilde kennen und zitieren können, bisschen viel Cliché, bisschen viel Zwang, alle bedienen zu wollen, also zu müssen. Die Freundin ist bei Katja eingezogen, Doppelgleisigkeit, huhh, wie lange kann das noch gut gehen?

 

Dann packt Katja aus, nachdem sie schon öfter den Mund aufgemacht hatte und immer durch irgendwas gehindert wurde (Situationskomik!), aber dann sagt sie’s und provoziert den Skandal. Sie geht zum Arzt, aber nichts ist mehr so, wie es war. Spannende Momente, in welche Richtung driftet das ganze? Der schwule Bruder hat keine Chance, das ahnte man bereits, für den Arzt gibt es kein Zurück mehr, dafür aber merken die dicken Freundinnen, dass es keine stärkeren Bande gibt als die zwischen Frauen, die sich nicht nur mögen, sondern sich einig sind in der Lokalisierung des gemeinsamen Feinds, dem herumstreunenden Mann. Am Schluss geht die ganze private Chose über den Sender, die ganze Familie, ohne das irritierende sexuelle Moment, ist versammelt, wie schön.

 

Dieter Wenk (12.00)

 

Rainer Kaufmann, Stadtgespräch, D 1995, mit Katja Riemann, Moritz Bleibtreu u.a.