26. Juli 2005

Dumm wie Brot, das es nicht gibt

 

Dieses Buch ist sehr berühmt, und diese Berühmtheit verdankt es ausschließlich seiner Hauptfigur. Der Schwejk gehört wie Don Quichote, Faust oder Don Juan zu den Figuren, die schon abgeschlossen sind, wenn sie das Licht der Buchwelt erblicken, es sind fix und fertige Charaktere, die nichts mehr dazulernen und gleichwohl (anders als das Horrorpersonal von Canettis „Blendung“) Platz in der Wirklichkeit hätten. Das heißt aber nicht, dass wir den Figuren gleich um den Hals fallen würden – sie würden sich wahrscheinlich selbst heftigst dagegen wehren. Ihre Berühmtheit hat also wenig, wenn überhaupt, mit Sympathie zu tun. Was sie auszeichnet, ist allein ihre Einzigartigkeit, mit allen Konsequenzen, die sich daraus ableiten lassen. Gleichzeitig wird ihre Unverwechselbarkeit an eine jeweils besondere Situation geknüpft, die Figuren verlassen ihren Alltag (oder werden dazu gezwungen) und stoßen auf eine ihnen komplementäre Radikalität, Faust hat mit Mephisto zu tun, Don Quichote mit einer ausgelagerten Fantasiewelt, Schwejk mit dem Ersten Weltkrieg.

 

Der Trick mit Schwejk ist ja, dass er ohne diesen Hintergrund als literarische Figur nicht funktionieren würde. Augenblicklicher Absturz in die Unerträglichkeit. Unzumutbar ohne die auf ihn stoßende Gegenwelt des Kriegs. Lokaler Schwätzer, enzyklopädischer Zeitungsersatz, kuriose Redemaschine, lächerlicher Automat, den nichts angeht, seine Nieren eingeschlossen. Erst auf dem Hintergrund des finstren zeitgeschichtlichen Ereignisses bekommt die Figur des Schwejk einen Gegensinn, ohne den diese sicher auftretende Idiotie nicht Hunderte von Seiten füllen könnte – und selbst dann, wie man mit fortschreitender Lektüre dieser trotz fast 800 Seiten Fragment gebliebenen Abenteuer vielleicht feststellen wird. Schwejk und der Weltkrieg, das passt nicht zusammen, wie man gleich auf der ersten Seite beispielhaft vorgeführt bekommt: Zu „Ferdinand“, dem Thronfolger der österreichisch-ungarischen Monarchie, dessen Ermordung den Ersten Weltkrieg auslöste, fällt dem seinerzeit „superarbitrierten“ – aus der Armee wegen Schwachsinns entlassenen – Schwejk nichts anderes ein als zwei Ferdinande aus seinem Bekannten- bzw. Informationskreis.

 

Auf dieses „nichts anderes“ kommt es freilich an. Es ist Schwejks charakterologische Dauerstrategie, die im Zusammenhang mit der auch ihn betreffenden Rückführung in die Welt des Militärs eine ungeahnte und unabsehbare Subversion erhält. Schwejk ist ein Anekdoten- und Geschichtenerzähler, seine Assoziatitis ist nachgerade beängstigend, und wenn er keinen Anstoß von außen bekommt, legt er von ganz alleine los. Mit seinem unerschöpflichen erzählerischen Proviant führt er die strenge, stupide und oft strunzdumme militärische Vorgesetztenwelt auf Glatteis, indem er zugleich mit seinem blöden Strahlemanngesicht und seine durch nichts zu erschütternde Gutmütigkeit seiner völlig intakten Subordinationsbereitschaft Ausdruck verleiht und genau damit ein Ei legt, das nicht zu verdauen ist. Schwejk gehorcht – und dann fängt er an, zu plappern, ohne Ende. Das ist im Grunde alles, was es hier zu lesen gibt. Schwejk auf der Polizeidirektion, bei den Gerichtsärzten (das meiste von Foucault gibt es schon hier zu lesen), im Irrenhaus, schließlich im Kriegseinsatz als „Putzteufel“ und Ordonnanz, als Gefangener seiner eigenen Einheit, und nebenher lernt man auch noch seine Mannschaft kennen, die alle selbstredend ebenfalls ihren Hau weg haben.

 

Dieses Zutexten-Prinzip ist schon sehr klasse, alleine man hält es irgendwann nicht mehr so gut aus, weil der Schwachsinn, den Schwejk vor allem seinen Vorgesetzten zumutet, natürlich auch die Station des Lesers passiert und es ist einfach so, dass viele der hier erzählten Geschichten nicht mehr so arg interessieren. Das Lesetempo kann also sehr variabel gestaltet werden, wenn man einmal goutiert hat, wie der Hase läuft. Ob man im Alltag aber selbst zum Filibustern greift, sollte man sich zweimal überlegen, bevor es sich die anderen überlegen.

 

Dieter Wenk (07.05)

 

Jaroslav Hašek, Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk während des Weltkriegs, Berlin 1954 (Dietz)